Klavier-Festival Ruhr Wenn Thibaudet in die Tasten greift, sind nur noch die Ohren wichtig

„The Americas“ lautet das diesjährige Motto des Klavier-Festivals Ruhr. Jean-Yves Thibaudet interpretierte Gershwins „Concerto in F".

Klavier-Festival Ruhr: Wenn Thibaudet in die Tasten greift, sind nur noch die Ohren wichtig
Foto: Mark Wohlrab

Wuppertal. Ein dandyhaftes Outfit war schon immer ein Markenzeichen von Jean-Yves Thibaudet. Es war schon etwas für die Augen, als er mit schwarz-glitzernden Slippern die Pedale des Flügels bediente. Vielleicht stand auch draußen vor der Stadthalle ein teurer Flitzer, mit dem er durch die Gegend düst. Schnelle Autos sind nämlich seine Passion. Das sind aber nur Äußerlichkeiten. Denn greift der Sohn eines französischen Vaters und einer deutschen Mutter in die Tasten, sind nur noch die Ohren wichtig.

Und die fühlten sich wohl, als er im Rahmen des Klavier-Festivals Ruhr George Gershwins „Concerto in F“ interpretierte. Gleich bei seinem ersten feingliedrigen Einsatz war seine Haltung unmissverständlich: kein überzogenes pianistisches Gehabe. Schlicht, dennoch glasklar war seine Anschlagskultur, sparsam die Benutzung des rechten Pedals.

Die Anklänge an den Blues im Binnensatz und die Ragtime-Charaktere im Finale gestaltete er ungemein zart, luftig. Von den hochvirtuosen Akkord- und Tonrepetitionen sowie den wieselflinken Läufen nahm er jeglichen Bombast. Stattdessen perlten sie herrlich locker-leicht. Fesselnd war seine intime Auseinandersetzung mit dem Klavierkonzert.

Natürlich bedankte sich Thibaudet für den begeisterten Beifall mit einer kleinen Zugabe. Ungemein beseelt kam der Kupelwieser-Walzer von Franz Schubert daher. Ein wenig schade war nur, dass die sensiblen Klaviertöne nicht immer deutlich genug zur Geltung kamen. Auch wenn sie sich in den Orchesterklang integrierten, hätten sie viel besser ver-nehmbar sein sollen. Denn das Orchester der Ludwigsburger Schlossfestspiele war an man-chen Stellen schlicht und einfach zu laut.

Diese Befürchtung kam bereits während der zuvor gespielten sinfonischen Tänze aus Leonard Bernsteins Musical „West Side Story“ auf. Denn Chefdirigent Pietari Inkinen ließ sich die Blechbläserabteilung und Schlagzeuger frei entfalten, ohne sie in der Lautstärke zu mäßigen. Die Holzbläser und der große Streicherapparat konnten sich dagegen nicht immer durchsetzen. Auch die schwungvoll und mitreißend dargebotene Ouvertüre zu Bernsteins Bühnenstück „Candide“ litt ein wenig darunter.

Vielleicht hatte man sich nur nicht richtig auf die Akustik des Großen Saals eingestellt. Ansonsten stellte sich nämlich ein erstklassiges Orchester vor. Unter Inkinens tänzelnder Körpersprache und seinen klaren Anweisungen hinsichtlich Einsätzen spielte es hochmusikalisch auf.

Auch solistisch faszinierten die Musiker an den ersten Pulten während des gesamten Abends bei ihren sehr gehaltvoll zum Ausdruck gebrachten Abschnitten. Klanglich wesentlich ausgewogener kam Sergej Rachmaninows letztes Opus von der Bühne, drei Jahre vor seinem Tod im Exil in den USA geschrieben. Diesen Symphonischen Tänzen darf durchaus unterstellt werden, dass in ihnen biografisches Material musikalisch umgesetzt wurde. Das Zitat im ersten Satz aus seiner erfolglosen 1. Sinfonie, die eine tiefe Krise nach sich zog, dürfte für sich sprechen. Beispielsweise wurden dieses Merkmal wie auch das Halleluja der orthodoxen Liturgie am Ende des Finalsatzes verständlich herausgearbeitet.

„The Americas“ lautet das diesjährige Motto des Klavier-Festivals Ruhr. Jeder Pro-grammpunkt trug dem an die-sem Abend Rechnung. Der prä-sentierte Ausschnitt von dem, was in den USA in der Zeit von 1925 bis 1957 an orchestraler Musik entstand, ist ungebrochen regelmäßig auf den Kon-zertpodien der Welt zu erleben. So war der Wiedererkennungs-wert groß. Das zahlreiche Publi-kum hatte großen Gefallen daran und bedachte Inkinen und das Orchester der Ludwigsburger Schlossfestspiele mit lang anhaltendem Schlussapplaus.

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