Weihnachtsstunden - ein Segen im rauen Schulalltag

Der Lehrer und Autor Arne Ulbricht erklärt, warum gerade die Unterrichtsstunden vor Heiligabend für Schüler wichtig sind.

Weihnachtsstunden - ein Segen im rauen Schulalltag
Foto: Michael H. Ebner

Als Lehrer bekommt man ständig die Ferien um die Ohren geschlagen. Das klingt dann oft so: „Ach… ihr mit euren ganzen Ferien!“ Vor Weihnachten wird der Spruch mit dem Zusatz gewürzt: „Und vor Weihnachten frühstückt ihr nur noch oder wichtelt.“ Ich stelle hiermit offiziell fest: Beides stimmt! 1. Die Ferien sind der Wahnsinn! Sie sind unser Bonus. Zusammenaddiert drei Monate Zeit, um selbstorganisiert zu arbeiten, immer wieder zu verreisen, und in den langen Sommerferien kann man richtig abschalten. 2. Und vor Weihnachten wird wirklich in einer Tour gefrühstückt und gewichtelt. Der reguläre Unterricht wird durch „Weihnachtsstunden“ ersetzt. Aber warum „machen“ wir Lehrer Weihnachtsstunden, wenn es eh ständig Ferien gibt?

Ganz einfach: Weil diese Stunden wichtig sind! Der Schulalltag ist nun mal oft hektisch. Schüler sind ständigem Druck ausgesetzt, denn spätestens ab der vierten Klasse wird der Schulalltag von der Frage bestimmt: Was habe ich in der nächsten Mathearbeit? Und das ändert sich bis zum Abitur nicht mehr; in der Oberstufe werden wegen einzelner Punkte regelrechte Gefechte ausgetragen. Lehrer geraten gerade in solchen Situationen ebenfalls unter Druck. Denn plötzlich ernten sie von Schülern, die man doch irgendwie immer gemocht hat, tagsüber giftige Blicke; und abends rufen die Eltern an und beschweren sich über die Note. Es gibt Phasen, in denen das Maß an Anspannung an Entspannung überhaupt nicht mehr denken lässt.

Und dann… kommt die Weihnachtswoche! Plötzlich merken die Schüler, wie angenehm der Lehrer, der sie gerade noch so gestresst hat, sein kann. Sie merken, dass ihr Lehrer auch bloß ein Mensch ist. Ein Mensch, der einfach mal Lust hat, sich mit seinen Schülern, zum Beispiel während eines gemeinsamen Frühstücks, über die neueste Star Wars- Episode zu unterhalten. Oder mit ihnen zu singen, und je schiefer es klingt, desto mehr Spaß hat man. Gemeinsam! Oder man wichtelt bei Kerzenschein, und einen Moment lang breitet sich im Klassenraum ein umfassendes Gefühl der Zufriedenheit aus.

Ich selbst lese vor. Das tue ich noch immer, obwohl ich seit Jahren nur Oberstufe unterrichte. Nichts Weihnachtliches. Eher Bücher, die mir wichtig waren und mich geprägt haben, zum Beispiel „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“, das mich, den Richtersohn, mit 14 Jahren in eine andere Welt katapultiert hat. Manchmal sogar Szenen aus meinen eigenen Büchern. Es ist mir sogar schon gelungen, Schüler zum Vorlesen zu animieren, aus Büchern, die ihnen wichtig sind. Die Schüler merken: Lehrer sind ja nicht nur Lehrer. Das sind ja Menschen mit Leidenschaften. So wie wir! Gäbe es Weihnachtsstunden nicht, man müsste sie erfinden. Denn in solchen Stunden entsteht oft eine besondere Nähe, die aufzubauen im notengeprägten Schulalltag fast unmöglich ist.

Arne Ulbricht, 45, unterrichtet in Teilzeit am Berufskolleg Neandertal in Mettmann Französisch und Geschichte. Nebenbei schreibt er Bücher. Aus seinen sieben erschienenen Büchern liest er am 14. Dezember um 19.30 Uhr im Literaturhaus Wuppertal in einer Art Weihnachtslesung seine eigenen Lieblingsszenen.

arneulbricht.de

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