Was unsere Welt zusammenhält

Prof. Gregor Schiemann sprach über Teilchenphysik und Natur.

Was unsere Welt zusammenhält
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Am Large Hadron Collider (LHC) im Europäischen Zentrum für Teilchenphysik Cern in Genf laufen seit einigen Jahren die größten wissenschaftlichen Experimente der Menschheitsgeschichte ab, an denen auch eine Forschergruppe der Bergischen Universität beteiligt ist.

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Der LHC liefert zwar fundamentale Ergebnisse in der Elementarteilchenforschung, doch trotz großer Erfolge in den vergangenen Jahren — wie zum Beispiel dem Nachweis des Higgs-Teilchens — können die Physiker nur fünf Prozent des Weltalls erklären. Die Philosophie befasst sich ebenfalls mit Fragen des Ursprungs und den Strukturen der Welt. Über die Grundlagen der Arbeit einer interdisziplinären Forschergruppe am Cern sprach der Philosoph und Physiker Prof. Gregor Schiemann in seinem Vortrag „Was kann die Teilchenphysik über die Natur sagen? Eine Perspektive über die Philosophie“ im Rahmen der Vortragsreihe Unital.

Der Besuch in der Citykirche in Elberfeld war sehr gut, was Prof. Johannes Köbberling, Vorsitzender der Freunde und Alumni der Bergischen Universität (Fabu) und Initiator der Reihe, angesichts der Komplexität des Themas überraschte. Allerdings erhofften sich vermutlich zahlreiche Zuhörer, dass sie ein Philosophieprofessor behutsamer durch die große beziehungsweise kleine Welt der Higgs-Teilchen, Neutrinos, dunklen Materie und dunklen Energie führen werde als ein Physiker. Sie wurden nicht enttäuscht, denn Prof. Schiemann stellte Beziehungen zum Alltagswissen her und baute so für seine Zuhörer Wissensbrücken vom klassischen Weltverständnis der „antiken Atomisten“ bis zum Standortmodell der Elementarteilchenphysik, für das mit dem Higgs-Teilchen vor einigen Jahren der letzte Baustein nachgewiesen wurde.

In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass mit dem Erkenntnisgewinn durch die Experimente im Cern neue und bisher unlösbare Fragen und Widersprüche aufgetaucht sind. So lässt sich das Phänomen der Schwerkraft (Gravitation) nicht durch die Teilchenphysik erklären. Das gilt aber auch zum Beispiel für alltägliche Phänomene wie für den Gefrierpunkt von Wasser.

Prof. Schiemann zeichnete das Bild eines Schichtaufbaus der erfahrbaren Welt. Seine Erkenntnis: Für den ganz kleinen Bereich (Elementarteilchen), den mittleren sowie den ganz großen kosmischen Bereich gelten verschiedene Gesetzmäßigkeiten. Das mag eine Erklärung dafür sein, warum der Begriff „Natur“ in der Teilchenphysik keinen Platz gefunden hat.

Der Vortrag von Prof. Schiemann war ein Plädyoer dafür, trotz dieser fehlenden gemeinsamen Gesetzmäßigkeiten das große Ganze nicht aus dem Blick zu verlieren. Die interdisziplinäre Begleitforschung am Cern — mit einer führenden Rolle der Philosophie — verknüpft die Forschungsergebnisse der Physiker mit den Erkenntnissen der Geisteswissenschaften. Das mindert die Gefahr der Anhäufung technisch errungenen Wissens in einem sinnbildlich luftleeren Raum — ohne Bezug zur Natur.

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