Viele Wege führen ins Café Cosa

An der Calvinstraße fühlen sich Menschen willkommen, für die es sonst keinen Platz gibt. Die WZ besuchte die Einrichtung.

Viele Wege führen ins Café Cosa
Foto: Andreas Fischer

Wuppertal. Paul nimmt einen Schluck aus seiner Bierflasche. „Ich bin seit 23 Jahren abhängig“, sagt der 40-Jährige und denkt kurz darüber nach, was er gerade gesagt hat. „Das ist nichts, worauf man stolz sein kann.“ Es ist Mittagszeit im Café Cosa, dem offenen Treff für alle, die sich in Wuppertal aufwärmen möchten, weil sie viel Zeit auf der Straße verbringen.

Aus den Boxen dröhnt ein Liebeslied, wie aus einer anderen Welt. Die Gäste kaufen sich ein günstiges Brötchen, wärmen sich mit Kaffee auf oder tauschen sich einfach nur mit Gleichgesinnten aus. „Hier hat jeder sein Päckchen zu tragen“, sagt Stefan (alle Namen von der Redaktion geändert), der Paul gegenüber an einem Tisch sitzt, in den unzählige Gäste ihren Namen eingeritzt haben. Der 29-Jährige wirkt sehr aufgeweckt. „Ich bin der Jüngste in der Szene“, sagt Stefan. Er sei über seinen Bruder, der Mitglied in einer Rockergang ist, mit Drogen in Kontakt genommen. Erst spritzte er sich Kokain, dann Heroin. Vor einem Jahr ging er noch arbeiten, bis er einsehen musste: „Ein normales Leben und Drogen passen nicht zusammen.“

Paul und Stefan holen sich im Café Cosa saubere Spritzen. „Ich finde das korrekt, dass die alten Spritzen hier auch eingesammelt werden, damit die nicht irgendwo auf einem Spielplatz rumliegen“, sagt Paul. Die beiden schnaufen aber auch gerne im Café durch, weil sie hier unter sich sind. „Hier kommt man sich nicht vor wie ein Mensch zweiter Klasse“, sagt Paul. Er wisse, dass das Café, das kürzlich vom Köbo-Haus in die Calvinstraße umgezogen ist, den Nachbarn „ein Dorn im Auge“ ist. Paul und Stefan vermuten, wie viele andere der Kunden auch, dass die Mauer direkt vor der Eingangstür nicht aus baulichen Gründen, sondern als Sichtschutz gezogen wurde.

„Es gibt verständliche Ängste“, sagt Jörn Kausche, einer der hauptamtlichen Mitarbeiter im Café. „Einige Ladeninhaber sorgen sich, dass die Kunden abgeschreckt werden“, sagt er. Obwohl man die Nachbarn informiert habe und zum Dialog bereit ist, gebe es offene Anfeindungen. Kausche erinnert sich an seine erste Erkenntnis im Job: „Man stellt fest, dass Süchtige ganz normale Menschen sind.“ Heute lächelt er darüber, doch damals fand er das zunächst verblüffend. Im Café Cosa hat jeder der 50 bis 60 täglichen Besucher seine Geschichte. Die meisten haben eine eigene Wohnung, viele sind drogenabhängig — aber nicht alle.

Lea zum Beispiel ist clean. In ihrem alten Leben in Rheinland-Pfalz war die tätowierte 48-Jährige mit einem Aquaristik—Laden selbstständig, so berichtet sie. Dann sei sie an Darmkrebs erkrankt und habe nicht mehr arbeiten können. „Ich habe 14 Jahre von der Grundsicherung gelebt.“ Nach Wuppertal habe es sie verschlagen, weil sie sich vom Helios-Klinikum eine gute medizinische Versorgung versprach. „Um Leute kennenzulernen“ sei sie damals zum Hauptbahnhof gegangen.

Nun ist sie eines der Gesichter im Café Cosa — meistens hinter der Theke zu sehen. Sie gehört zu den Besuchern, die für einen Stundenlohn von 80 Cent aushelfen, also den Wirt machen oder den WC-Dienst übernehmen. Lea ist begeistert, nach Jahren wieder eine Aufgabe und einen geregelten Arbeitsalltag zu haben. „Das gibt mir Selbstsicherheit. Inzwischen bewerbe ich mich auch wieder woanders“, sagt die Frau mit den fröhlichen Pipi-Langstrumpf-Zöpfen.

Jörn Kausche weiß, dass man als Helfer die Ziele nicht zu hoch stecken darf — sonst werde man mit Sicherheit enttäuscht. Es seien die kleinen Hilfen, um die es ginge: „Wenn jemand keinen Strom hat und wir helfen ihm so, dass er wieder Strom hat, dann ist das ein Erfolg.“ Wenn ein Mensch von einem auf den anderen Tag nicht mehr ins Café kommt, ist das häufig eher ein schlechtes als ein gutes Zeichen. Klaudia Herring-Prestin, Leiterin der Einrichtung, kennt aber auch Fälle, da tauchen die Verschwundenen wieder auf. „Ich habe schon Konsumenten auf der Straße wiedergetroffen, die es einfach geschafft haben. Das ist erstaunlich.“ In der Regel lassen die Menschen nicht nur das Café Cosa, sondern auch Wuppertal und den gesamten Bekanntenkreis hinter sich. Stefan ist noch da. Aber er hat eine Drogentherapie begonnen. Die Alten hätten ihn ermutigt: „Hör auf, du hast jetzt noch die Chance.“

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