Über das Gute schreiben, ohne das Finstere zu verschweigen

Rolf Becker las im Rahmen der Literatur Biennale aus Armin T. Wegners „Fünf Finger über Dir“-Buch über eine Russlandreise 1927/28.

Über das Gute schreiben, ohne das Finstere zu verschweigen
Foto: Anna Schwartz

Er war enttäuscht über das Russland, das doch „erste große Kammer der neuen Menschheit werden wollte“, wie er in einem Brief an den russischen Schriftsteller Maxim Gorki Anfang 1928 schrieb. Zugleich setzte er sich für politische Häftlinge ein, die in Gefängnissen Russlands oder in sibirischen Lagern unter furchtbaren Verhältnissen litten, nur weil sie „das Recht der freien Meinungsäußerung beansprucht hatten. Armin T. Wegner, 1886 in Elberfeld geborener Schriftsteller und Pazifist, bereiste 1927/1928 die junge Sowjetunion. Schrieb darüber den Roman „Fünf Finger über Dir“, der als sein bestes Buch gilt.

Dieses etwa 320 Seiten starke Werk, eine Mischung aus Reisebericht, Tagebuch und Briefwechsel, stand am Sonntag im Mittelpunkt einer musikalisch umrahmten Lesung bei der Gesellschaft Concordia, schräg gegenüber des Barmer Rathauses. Auf Einladung der Armin T. Wegner Gesellschaft und im Rahmen der Literatur Biennale tauchten die Besucher erneut in eine Welt ein, die einerseits zum Festival-Thema #Schön Lügen passt und die andererseits an eine Zeit erinnert, die bis heute Russland prägt.

Basis dafür ist ein legendäres Buch, das Wegner über seine Russlandreise verfasste — Dokument seines Ringens um eine angemessene Haltung gegenüber Kommunismus und politischer Gewalt. Das Buch kam 1930 auf den Markt, wurde, von der Literaturkritik hoch gelobt, in Deutschland zum Bestseller. Der Autor wurde 1933 von der Gestapo verhaftet, seine Werke 1938 von den Nazis verbrannt. Wegner emigrierte nach seiner Freilassung nach Italien, erhielt 1956 das Bundesverdienstkreuz, 1962 den Eduard-von-der-Heydt-Preis und wurde 1968 von Israel in die Reihe der Gerechten unter den Völkern aufgenommen. Er starb 1978 in Rom, geriet in Vergessenheit. Dass man sich nun wieder seiner erinnert, liegt auch daran, dass seine Werke durch den Wuppertaler Verleger und Schriftsteller Hermann Schulz wieder entdeckt und durch den Göttinger Wallstein Verlag herausgegeben werden. Ulrich Klan, Vorsitzender der 2002 gegründeten Armin T. Wegner-Gesellschaft, dankte ihm am Sonntag dafür.

Der Lehrer und Musiker Klan führte überdies durch die Veranstaltung, gab immer wieder Informationen zu Wegner und übernahm zusammen mit Anja Lendrat (Violoncello) und Robert Dißelmeyer (Flügel) als ein Violinist des „Trio con Voce“ den musikalischen Part des Programms. Dafür hatte sich das Trio russische Musik, vornehmlich von Dmitri Schostakowitsch, ausgesucht, die es einfühlsam, gekonnt und im Wechsel mit der Lesung intonierte.

Für die legte sich Rolf Becker ins Zeug. Der 83-jährige Schauspieler und Synchronsprecher lieh Wegner nicht nur seine Stimme, sondern verstärkte mimisch und gestisch das Gelesene.

Der expressionistische Autor Wegner schildert in bildreicher und stimmungsvoller Sprache seine Erlebnisse — die Gesellschaft, mit der er im Zug in die Sowjetunion reiste, die Revolutionsfeiern, die er Anfang November 1927 miterlebte, oder sein Besuch in Baku (Aserbaidschan). Der Leser begegnet Stalin, hinter dessen „freundlichem Lächeln“ Wegner Grausamkeit und Herablassung entdeckt. Er lernt den Visionären Wegner kennen, der schon 1928 („vor allen anderen“, Klan) von der Macht des Erdöls in der ganzen Welt schreibt, dem auch das kommunistische System seine Überzeugungen opfert. Und der Leser erfährt immer wieder, wie Wegner zwischen der Bewunderung über Ziele und Wiederaufbauleistungen der UdSSR und Missachtung der Menschen durch das Regime schwankt. „Wenn wir über die guten Taten Russlands schreiben, müssen wir doch auch die finsteren Seiten aufdecken“, heißt es im Buch.

Kein Wunder, dass diese Zeilen niemals in der Sowjetunion erschienen, wo sie zum #SchönLügen des Regimes nicht passten.

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