Die Nordstadt ist ein wahres Leseparadies

„Der Berg liest“ hieß es am Sonntag rund um den Ölberg. Zahlreiche Privatpersonen und Autoren ließen dabei Geschichten hören.

Ölberg. Alle zwei Jahre verwandelt sich die Elberfelder Nordstadt und der Ölberg im speziellen in ein wahrhaftes Eldorado der Lust am Lesen und Zuhören. Bunt und vielfältig ist das Leben rund um die Marienstraße: Künstler treffen auf Senioren — die noch von den entbehrungsreicheren Zeiten berichten können —, Multikulti auf alternative Szene und studentisches Flair. All das in einer betörend nostalgiegeladenen Altbaukulisse.

Wie ideal dieses kulturelle Biotop sich für ein Lesefestival eignet, bei dem jeder zum Buch greifen und seine Türen für Zuhörer öffnen kann, wurde auch diesmal eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Den ganzen Sonntag — bei strahlend sonnigem Wetter — schlenderten Neugierige von Location zu Location und ließen sich durch Geschichten, Lyrik, aber auch Musik in mal ganz nahe oder auch ganz ferne Welten entführen.

Hinterhöfe wurden zu liebevoll geschmückten Leseecken für Kindergeschichten; wie beispielsweise bei Nina Ritterskamp an der Gertrudenstraße. Auch die Grundschule Marienstraße bot ein vielseitiges Programm für die Jüngeren. Auf dem Schusterplatz sorgten Studierende vom Berufskolleg Bleibergquelle für spielerische Begegnungen zwischen Kindern und Sprache. Das kam sehr gut an. Elsa, die mit ihrer Mutter Angela aus Münster in Wuppertal zu Besuch war, hatte viel Freude daran ihren Namen zu hüpfen. „Wir lassen uns treiben. Es ist ganz schön, bei dem guten Wetter“, schwärmte Angela.

In der Tat gibt es bei „Der Berg liest“, für jedes Alter und jeden Geschmack etwas — auch Überraschendes. So etwa Lesungen in einem Bestattungshaus. Kirschbaum Bestattungen bot den teils sehr skurrilen Geschichten von unter anderem Eugen Egner, Uwe Becker und Hanns-Stefan Seeling eine außergewöhnliche Bühne.

„Es ist so viel, da kann man gar nicht entscheiden wo man hingeht“, sagt eine Passantin, die selbst im Viertel wohnt. Ateliers, etwa das von Bernd Bähner, oder KernKunst und Läden verschiedener Art, unter ihnen die Oelberger Taschenmanufaktur oder Hoegens Urbanität luden mit Lesungen zum Verweilen ein. Wohnzimmer wurden geöffnet, so auch in der Klimaschutzsiedlung an der Malerstraße. Cafés, wie das Chou Chous und Kneipen (beispielsweise das Hayat an der Schreinerstraße) erfüllte Gelesenes. Ob nun rund um den Wuppertaler SV, Reiseberichte, Gesellschaftskritisches, oder auch Shakespeare, wie in Form von Nachdichtungen in der Kfz-Werkstatt Retas, gelesen durch Reiner Brückner.

So wie viele andere, nahm auch die Sparkasse an der Hochstraße erneut teil. Christiane Gertz, ausgewiesene Ölberg-Kennerin, las aus ihrem Buch „Der Ölberg — Mein Kiez“. Öffnete die Augen für verborgene Schönheit und vergessene Geschichte aus dem Viertel.

Die Alte Backfabrik, ein sonderbar ästhetischer Ort, wie aus einer Filmkulisse zu einem Streifen über eine Bäckerdynastie aus den 50er Jahren, begeisterte mit einer Lesung nach der anderen. Michael Schumacher, selbst Autor, hatte es schon bei dem letzten „Der Berg liest“ auf diesen speziellen Raum abgesehen: „Ich liebe den Ölberg und habe letztes Mal schon teilgenommen. Ich habe eine Lesung hier in der Backfabrik gesehen und dachte mir, hier möchte ich rein.“ Unter anderem gaben dort Elke Werner (Bochum) und Silke Herker-Orthaus Kostproben ihrer Prosa. Letztere spiegeln Probleme und Gedanken ganz normaler Frauen und verpacken so manche Wahrheit über das Leben in spritzige, mit viel Ironie geschwängerte Kurzgeschichten. Ein wirklich gelungener Tag rund um den Ölberg.

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