Wuppertal Kemmerich: Als Schnäppchen skeptisch machten

103 Jahre verkaufte Familie Kemmerich Lebensmittel an der Emilienstraße. Ein Nachruf auf den Nachbarschaftsladen.

Kothen. 1899 fing alles an — mit Bouillon. Jochen Kemmerichs Großmutter Lydi verkaufte die klare Suppe an Fuhrwerker an einer Pferdetränke. Das war nichts Ungewöhnliches. „Damals konnte man auch noch warmes Wasser für zwei Pfennig kaufen, weil nicht jeder einen Ofen hatte“, sagt Kemmerich. Später erweiterten die Großeltern das Angebot um Gemüse und eröffneten ihren ersten Laden an der Emilienstraße. „Colonialwaren“ stand damals an der Fensterscheibe. Und „Drogen“ gab es zu kaufen — heute würde dort „Drogerie-Artikel“ stehen. Das rege Geschäft nahm bei dem Barmer Bombenangriff 1943 ein abruptes Ende. Das ganze Gebäude wurde zerstört.

Ihren zweiten Laden, in zweiter Generation, eröffneten die Kemmerichs direkt gegenüber. „Mein Vater war vom Militär freigestellt, um die Nahversorgung sicherzustellen“, weiß der 75-Jährige. In der Auslage lagen damals frische Produkte wie Äpfel und Eier. Wer Kaffee oder Öl kaufen wollte, kam mit einer Kanne und ließ sich die Ware abfüllen. Zu jedem Lebensmittelladen gehörte daher eine gute Waage. Im zweiten Laden packte Jochen Kemmerich als Kind schon mit an und belieferte die Kunden. „Wenn mein Vater nach mir rief, versteckten mich manchmal die Nachbarn, damit ich nicht schon wieder arbeiten musste“, erinnert sich der Rentner.

Ende der 50er Jahre, die nächste Hürde: Ein Konkurrent kaufte das Haus und kündigte den Geschäftsleuten den Laden. Mit viel Glück fanden die Kemmerichs ihr drittes Ladenlokal an der Emilienstraße/Ecke Elisabethstraße, das 1959 zum Betrieb wurde.

Ende der 60er Jahre führte der Laden als einer der ersten in Wuppertal die Selbstbedienungstheke mit vakuumverpackter Wurst und Fleisch ein. „Das war etwas ganz Neues, aber die Leute haben das schnell angenommen“, berichtet Marliese Kemmerich.

Das war die Zeit, in der Discounter, aber auch die Konkurrenz von nebenan einen erbarmungslosen Preiskampf startete. Kemmerich erinnert sich: „Da wurden Markenprodukte für eine Mark eingekauft und für 80 Pfennig verkauft.“

Mittlerweile hatten sich die Kemmerichs der Handelskette „Spar“ angeschlossen und konnten mit eigenen „No-Name-Produkten“ gegensteuern. Unternehmerisch blieben sie immer selbstständig.

Die Expansion der Ketten habe den Nachbarschaftsladen nie wirklich gefährden können, sagt Jochen Kemmerich. „Wir haben immer schwarze Zahlen geschrieben.“ Das habe aber auch an der guten Versorgung in der Straße gelegen. Seine Frau zählt auf: „Wir hatten Metzger, Bäcker, Apotheke und Frisör direkt daneben. Das war wie ein kleines Dorf.“

2002 bemerkten die Geschäftsleute dann schließlich doch, dass der Ansturm etwas nachließ. Menschen kamen rein, weil sie bei Aldi etwas vergessen hatten. Marliese Kemmerich blickt zurück: „Wenn wir früher ein Sonderangebot hatten, waren die Leute noch skeptisch und fragten, ob die Ware denn auch gut ist.“ Heute werden Billigpreise erwartet.

Die Kemmerichs vermissen den Nachbarschaftsladen. Nicht unbedingt ihren — das Prinzip. Das kleine Geschäft von nebenan sei immer ein schöner Treffpunkt gewesen. Man kannte die Menschen beim Vornamen. Jochen Kemmerich sagt: „Das war gut für die Seele der Menschen.“

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