Jeden Tag ein Stück kürzer: Der Barmer Schornstein-Riese

Barmen. Seit 1932 thront er über Barmen und ist weit mehr als ein gewöhnlicher Industrie-Schornstein. Viel mehr hat er sich in den vergangenen 79 Jahren zu einer Art Wahrzeichen des Stadtteils entwickelt.

Das liegt besonders an seiner Größe. Denn bereits von weitem ist der Schornstein des Heizkraftwerks Barmen zwischen Schwebebahn und Schnellzugtrasse zu sehen. Und auch wenn er seit acht Jahren nicht mehr in Betrieb ist, bedeutet er für die Barmer vor allem ein Stück Heimat.

Doch Ende August wird nicht mehr viel von ihm zu sehen sein. Dann wird der vormals 137 Meter hohe Backsteinturm bis auf 13 Meter zurückgebaut sein. Erst am Montag dieser Woche rückte ein Spezialkran an und setzte eine spinnenartige Arbeitsplattform auf den verbliebenen Stumpf (siehe Video). Nun kann das dicke Mauerwerk noch schneller abgetragen werden.

Seit der Schornstein, der jahrzehntelang Rauchgase von der Kohlekesselanlage ableitete, im Jahr 2003 stillgelegt wurde, hat er den Wuppertaler Stadtwerken (WSW) nichts als Kosten beschert. Also entschieden sich die Verantwortlichen, den Turm zurückbauen zu lassen. Seit zwei Wochen nun macht sich die „MB Abbruchtechnik“ — eine Firma aus dem bayrischen Memmingen, die sich auf den Rückbau von turmartigen Industrieanlagen spezialisiert hat — daran, den Turm Tag für Tag etwas kleiner werden zu lassen.

Vier Arbeiter hängen acht Stunden täglich in luftiger Höhe über der Stadt und tragen Stein für Stein mit Hilfe einer hydraulischen Zange ab. Das ist zwar mühsam und langwierig, „eine Sprengung wäre wegen der Nähe zur Bahn und den Wohnhäusern nicht möglich gewesen. Außerdem steht der Turm mitten im Kraftwerk“, sagt Volker Staab, Planungstechniker des Heizkraftwerks und Projektleiter für den Rückbau. Rund 650.000 Euro lassen sich die WSW die Arbeiten kosten. Kurzfristig viel Geld, langfristig aber durchaus günstiger. Denn mittlerweile hat sich die Verfugung zwischen den Steinen durch die seit 2003 fehlende Wärme im Inneren des Turms gelöst und bröckelt immer mehr ab. Eine Sanierung würde mehr als 100.000 Euro kosten und nur ein Provisorium darstellen. Verschenktes Geld für einen Schornstein, der ohnehin nicht mehr genutzt wird.

So gab es schnell eine Mehrheit für einen Rückbau. Und zwar bewusst nicht durch eine Firma, die mit Presslufthämmern agiert. „Das wäre für die Anwohner zu laut gewesen“, weiß Staab. Verantwortlich für die Bauarbeiten ist Tino Wasserberg. Wie seine Mitarbeiter kennt auch der Chef weder Schwindel noch Höhenangst und verbringt derzeit mehrere Stunden am Tag auf dem Gerüst an der Spitze des Turmes. Für Wasserberg nichts Neues: Ob Italien, Frankreich, Polen oder Russland — wo immer komplizierte Projekte anstehen, sind die Memminger zur Stelle. Sorgen bereitet den Arbeitern derzeit nur der Wind, „ansonsten stehen wir vor lösbaren Aufgaben“, sagt Wasserberg, wird dann aber doch etwas melancholisch. Denn so gern er Aufträge bekommt, immer wenn seine Truppe ihren Job getan ist, ist ein Stück Industriekultur Geschichte. „Ein schöner Turm. Er war einmal der größte Ziegelschornstein Deutschlands“, weiß er. Ende August erinnern aber nur noch 13 Meter an seine lange Geschichte.

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