ANZEIGE WZ-Krimi 2018 Folge 6 - Kommissar Brinker: Das Phantom der B7

Zuerst hat er alle Wuppertaler Ampeln auf Rot gestellt, jetzt hat der verrückte Professor Bronsius die halbe A46 mit Tempo-30-Schildern gepflastert. Kommissar Moritz Brinker tappt derweil im Dunkeln, was es mit diesen Taten auf sich hat. Und WZ-Reporterin Tina Tonino? Sie ist dem Täter vielleicht auf der Spur ... Der Zeitungskrimi geht weiter — fiebern Sie mit und gewinnen Sie Karten für die Lesung im Juni!

Ein Einfamilienhaus in Cronenberg
,Kommen Sie schon mal durch‘, hat er gesagt. „Durch“ trifft es ganz gut. Tina Tonino watet durch Zeitungshochhäuser, Kistentürme und Büchermauern, mit denen der gesamte Flur dieses Hauses in eine Skyline aus Papier verwandelt wurde. Jahre muss das gedauert haben, und nach Jahren riecht es hier auch. Papier, das vor sich hin vergilbt, müffelt halt irgendwann.
Sie möchte auf der Stelle kehrtmachen und rauslaufen in den frischen Aprilabend.
Er ist nicht zu sehen, ist vorgegangen, sie hört ein Rascheln von irgendwo. Dann seine Stimme: „Kommen Sie, kommen Sie. Kaffee?“
Sie stellt sich siebzehn Jahre alten Kaffeefilter und eine dieser Achtziger-Kaffeemaschinen vor, aus denen es minutenlang herauströpfelt, so wie ihre Oma sie noch immer hat.
Schritt für Schritt wagt sich die WZ-Reporterin durch den Flur Richtung Kaffeegeräusch, rechts erhascht sie einen Blick in das Wohnzimmer, aber Möbel erkennt sie kaum, nur noch mehr Türme. Was auch immer dieser Mann erfunden hat, eine Müllpresse ist es nicht. Nein, Bert Bronsius ist offenbar ein Messi.
„Wer is’n daaaa?“
Tina Tonino durchfährt der Schrei der Alten wie ein Donnerschlag. Anneke. Nicht seine Frau. Seine Mutter.
„Jemand von ner Zeitung! Geht um meine Erfindung!“, ruft er aus der Küche.
„Ach, mal wieder, du kleiner Spinner!“
Als Tina Tonino die Küche betritt, dreht sich Bert Bronsius schulterzuckend zu ihr um und flüstert: „Demenz, fortgeschritten. Ich weiß nicht, wie lange das noch so geht.“
Too much information, denkt die Reporterin, sagt aber nichts.
Immerhin: Bert Bronsius verfügt über eine recht neue und vertrauensvoll aussehende Kapselmaschine.
„Ja, ich nehm einen, danke.“ Auch wenn es der siebte heute ist und mir das nicht gut bekommen wird, aber was soll es, denkt sie. Seien wir höflich. Sie schaut auf die Uhr: Kurz vor acht. Spätestens in einer halben Stunde will sie hier eigentlich wieder weg sein, also macht sie Druck.
„Herr Bronsius ... ich bin wirklich froh, dass es mit dem Termin heute geklappt hat. Sie wissen sicher, was gerade in der Stadt so los ist. Daher wäre ich dankbar, wenn Sie mir schnell ...“
„Schnell geht hier mal überhaupt nichts.“
Sie schluckt. Dieser Blick. Diese Stimme. Jetzt gar nicht mehr so hell und harmlos, sondern ... so, dass sie wie ein unsichtbares Messer zusticht. Er scheint es zu merken: „Es ist nur so ... Frau Tonino. Was ich Ihnen vorstellen will, das ... ist nicht mal eben erzählt. Mein Projekt ist von ungeheurer Wichtigkeit. Von extremer Bedeutung für ... den Verkehr dieser gesamten Stadt, denn ... so geht es ja nicht weiter. Das muss Ihnen doch auch klar sein.“
„Sie meinen den vielen Verkehr. Die Baustellen.“
„Die Straße ist nicht die Zukunft, Frau Tonino. Die Luftfahrt ist es. Die lokale Luftfahrt.“
Sie setzt sich hin, kramt einen Stift und ihren kleinen Block heraus, bei Recherchen vor Ort arbeitet sie immer noch Oldschool, während manche Kollegen einfach alles aufzeichnen.
„Die lokale ... Luftfahrt“, murmelt sie ungläubig.
„Genau.“ Bronsius reicht ihr einen durchaus gut duftenden Kaffee. Er selbst duftet weniger gut, als er ihr so nahe kommt.
„Und Sie haben jetzt was genau erfunden?“
„Ich erfinde immer weiter. Das, was da ist, ist erst der Anfang. Ich arbeite schon sehr lange daran, müssen Sie wissen ...“ Sein Blick verfinstert sich wieder und das gefällt ihr gar nicht. „Damals, an der ...“
„Ja? An der ...?“
„Nein, nein, streichen Sie das, unwichtig. Ich habe lange zu dem Thema geforscht ... habe meinen Studenten ... und all den Schlaumeiern im Labor ... egal, darauf wollte ich gar nicht ... streichen Sie das bitte auch.“
„Bisher steht hier nur lokale Luftfahrt, Herr Bronsius.“
„Was habe ich das Thema immer wieder angebracht. In ewig langen Diskussionen mit der Stadt, vor Jahren schon. In Ausschüssen. Aber niemand wollte mich anhören. Alle haben immer nur gesagt, ach, der ...“
Sie beobachtet ihn bei seinem Monolog und denkt: Der erzählt mir das gar nicht. Der erzählt das sich selbst. Und das ist irgendwie gar nicht gut.
Sie muss schnell etwas sagen. „Mhmh, der Kaffee ist wirklich lecker. So, dann zeigen Sie mir doch mal, was Sie erfunden haben. Ich habe auch eine Kamera dabei, kann das gleich fotografieren.“
„Och, das haben heute schon so viele Leute fotografiert.“
Die Tasse in ihrer Hand zittert, noch ehe Bronsius einen Punkt hinter seinen Satz gesetzt hat.
„W ... was?“
„Na, dann kommen se mal.“
Sie steht zögernd auf und folgt ihm durch weitere Papierskylines durch das halbe Haus, bis er auf eine Treppe zusteuert. Der Keller, was sonst. Ihr Herz klopft wieder so stark wie vorhin vor der Tür. Sie bleibt stehen.
Bronsius dreht sich auf der ersten Stufe um und lächelt sie an. „Nach Ihnen. Keine Sorge, der Keller ist ausgebaut.“
So so. Mit Kisten?, denkt sie und drückt sich an Bronsius vorbei auf die Kellertreppe. Nimmt die ersten beiden Stufen. Denkt: Und jetzt knallt er die Tür hinter mir zu und dann war es das.

Aber plötzlich wird es hell. Weißlich-grelles Licht durchflutet den gesamten Raum, der sich vor ihr erstreckt und größer wird, je weiter sie die Treppe hinabsteigt.
Der Keller ist kein Keller, er ist vielleicht eine Garage, die hangseitig an das Haus herangebaut wurde, vor allem aber ist es eine riesige Werkstatt, womöglich auch ein Labor, sie weiß es nicht. Sie nimmt auch nur aus dem Augenwinkel heraus wahr, dass hier keine einzige Kiste herumsteht, kein Zeitungsturm, keine Wand aus Papier und Müll, sondern nur, wie akkurat alle Werkzeuge und Maschinenteile zurechtgelegt sind. Sie sieht vor allem eines: Ein großes blaues ... Ding. DAS Ding. Das UFO. Das kann nicht wahr sein.
Bronsius tritt hinter sie, für einen Moment glaubt sie, er lege ihr gleich die Hand auf die Schulter, aber er schlendert fast lässig an ihr vorbei und lehnt sich dann so anbiedernd an das blaue Gefährt oder was auch immer das sein soll, als posiere er bereits für das Zeitungsfoto.
„Darf ich vorstellen: Die Lösung für alle Probleme des Wuppertaler Verkehrs. Umweltschonend dank modernem Hybridantrieb. Zugleich langstreckentauglich. Schnell, kompakt, per Fernbedienung aus der Garage herausfahrbar ... und dann hebt er ab.“
Ja, denkt Tina Tonino, die gerade keine Worte findet, völlig losgelöst. So, wie der Typ, der daneben steht.
„Sie waren das heute, der da über der A46 gekreist ist.“
„Ich musste mir das Chaos ja mal aus der Nähe anschauen.“
Tina Tonino lässt ganz langsam den Blick durch die Werkstatt schweifen. Sie sieht ungezählte Werkzeuge jeder Größe, Schweißgeräte, gleich zwei fast komplette Motoren, kleine Triebwerke — und ein Notebook. Der Bildschirm ist schwarz. Aber unter der Tastatur blinken zwei Lampen. Das Teil ist also eingeschaltet.
Unwillkürlich nähert sie sich dem Schreibtisch, den Blick fest auf das Flugobjekt gerichtet. Der Typ ist total irre, keine Frage. Und natürlich ist das eine Megageschichte. Bleibt nur die eine Frage. Die entscheidende Frage.
„Jetzt wollen Sie sicher wissen, wie mein bahnbrechender Flieger heißt, oder?“ Nein, denkt sie, nicht diese Frage. Bronsius fährt fort. „Sie fragen so wenig, Frau Tonino. Ist das bei Ihnen so üblich? Ich hatte schon andere Interviews zu dem Thema, die ...“
„Nie veröffentlicht wurden?“
Oh, verdammt. Da ist es wieder passiert. Ihre Zunge war schneller als der Kopf.
Bronsius schiebt den Unterkiefer vor und zur Seite, wie ein Kamel beim Kauen, aber er kaut nicht, er starrt nur und das lässt sie gleichsam erstarren. Hat sie womöglich einen wunden Punkt erwischt?
„Ich ... bin nur sehr beeindruckt, äh ... wie lange, sagten Sie, arbeiten Sie jetzt schon daran? Und ... dieser Motor ... also ... woher haben Sie die ganzen Kenntnisse?“
„War lange Mechatroniker bei Lackmann. Daher auch die Hybridtechnik von Toyota.“
„Und jetzt ... sind Sie nicht mehr da tätig?“
„Ist das für den Artikel wichtig? Möcht ich jetzt nicht so drüber reden.“
„Ich hab mein Auto von Lackmann. Ein Seat. Bin sehr zufrieden, mit dem Wagen und dem Autohaus.“ Weil da so wunderbar normale Leute arbeiten, will sie noch sagen, spart sich das aber.
Sie tritt noch näher an den Schreibtisch heran.
Er öffnet derweil die Seitentür des Bronsikopters. „Wollen Sie mal einsteigen? Ist Platz für zwei.“
„Aha.“
Noch ein Schritt, dann kann sie sich mit der Hand am Schreibtisch festhalten, ohne dass es nach Absicht aussieht.
„Erst mal ... also das alles hier, das muss doch ... neben all der Zeit, all den Jahren ... eine Stange Geld, ich meine ... haben Sie einen Investor?“
„Wir haben geerbt. Tut aber auch nichts zur Sache. Geld spielt erst mal keine Rolle. Ich finde, Sie stellen komische Fragen, Frau Tonino. Sehen Sie, es geht hier nicht um mich oder meine Arbeitszeit. Es geht um den Verkehr der Zukunft! Und die hat mit dem Bronsikopter begonnen!“
„Dem ... was?“ Sie spürt, wie ein Lachen aus ihr herausbrechen will, aber das kann sie sich jetzt nicht mehr erlauben.
„Gute Erfindungen brauchen gute Namen, Frau Tonino.“
Ja, denkt sie, und du brauchst einen guten Arzt.
Jetzt steht sie am Schreibtisch. Und ihre Hand schnellt so plötzlich an dessen vordere und dem Notebook sehr nahe Kante, dass das ganze Gerät wackelt. „Ups“, entschuldigt sie sich, „der Schreibtisch muss aber mal nachgezogen werden ...“
Ihre Blicke fallen gleichzeitig auf den jetzt hellen Bildschirm. Hat sie es geahnt? Ist es purer Zufall? Reines Glück? Oder vielmehr dunkles Pech? Auf dem Notebook ist ein Bildordner geöffnet, auf den ersten Blick sieht sie Bilder von heute, vom Stau auf der A46, und darunter Bilder von roten Ampeln, zum Teil von Autos, die ineinander gefahren sind, alles Miniaturansichten, aber groß genug, dass sie genau weiß, was hier los ist.
„Sie waren das. Vorgestern ... und heute ... mein Gott, er hat Recht gehabt, er ...“
Bronsius springt mit einem Satz vom Bronsikopter zum Schreibtisch, klickt den Ordner weg, schließt alle weiteren Ordner und klappt den Bildschirm herunter, doch in jenem Sekundenbruchteil, kurz bevor das Notebook beim Schließen leise klickt, nimmt sie das Foto einer gut gekleideten Frau wahr, groß, schlank, sie scheint über eine Straße zu schlendern, blickt über die Schulter zurück, irgendwie ängstlich, scheint aber nicht zu ahnen, dass sie gerade fotografiert wird ...
... sie kennt diese Frau. Woher nur?
Bronsius erhebt sich vom Notebook und starrt sie an.
„Ja, ich war das. Es wurde Zeit, den Leuten die Grenzen aufzuzeigen. Der ganzen Stadt ... und ... ich will, dass Sie genau das schreiben.“
„Bitte?“
„Ja, schreiben Sie das. Jetzt. Hier, sofort. Das ist doch die einzig wahre Geschichte, oder? Wie einfach man diese ganze Stadt lahmlegen kann. Und wie genial meine Erfindung ist. Sie löst alle Verkehrsprobleme! Los, schreiben Sie das! Soll man mich doch anzeigen! Das Risiko gehe ich ein. Aber wenn die Menschen das lesen, wachen sie vielleicht endlich auf. Und begreifen, dass ihre ganzen Autos der Untergang sind und dass ...“
Weg. Sie muss weg. Jetzt.
„Ich ... Herr Bronsius, Ihr Kaffee ist gut, aber scheinbar läuft der so durch, wenn Sie verstehen, was ich meine. Ich müsste mal.“
Er runzelt die Stirn. „Ach so. Da hinten.“ Er zeigt auf eine Tür gleich neben dem riesigen Garagentor, das vom Bronsikopter fast ganz verdeckt wird.

Tina Tonino schließt die Toilettentür hinter sich und atmet tief durch. Sie hat keine Ahnung, wie sie aus dieser Nummer rauskommen soll. Ihr Unterkiefer bebt. Bronsius ist nicht mehr ganz dicht, keine Frage. Aber ist er auch gefährlich? Und wer ist bloß diese Frau auf dem Notebook? Sie zieht ihr Handy aus der Tasche. Eine WhatsApp von Moritz. Geschrieben vor ein paar Minuten. Sie liest: „Bist du schon bei diesem Erfinder? Wenn nicht, fahr auch nicht hin. Ich glaube, er ist unser Mann.“
Super, denkt sie. Sie schreibt: „Ich weiß, dass er das ist. Sitze gerade auf seinem Klo.“
Sekunden vergehen. Sie hört es draußen klappern. Dann Bronsius’ Stimme. „Alles gut bei Ihnen?“
„Dauert noch. Der Kaffee. Sorry.“ Oh Mann: Sie sitzt in der Werkstatt eines verrückten Erfinders auf dem Klo und rechtfertigt sich dafür, dass sie nicht runterkommt.
Moritz schreibt: „Nee, oder? Kannst du den hinhalten? Ich bin gleich da ...“
Sie steckt das Handy weg, dabei fällt ihr Blick auf ihr Portmonee. Es hat sich geöffnet, mal wieder, der Druckknopf ist kaputt. Sie sieht ihre Sparkassenkarte. Und der Groschen fällt. Die Frau auf dem Bildschirm ist Barbara Bott, sie arbeitet gleich neben dem WZ-Medienhaus am Islandufer in der Sparkassenzentrale. Sie hat letztens erst ein Foto von ihr im Berater-Chat gesehen, den sie hin und wieder für Finanzfragen nutzt. Was macht ein Foto von Barbara Bott auf dem Notebook von Bert Bronsius?
Tina Tonino blickt nach oben.
Das Toilettenfenster steht auf Kipp. Es ist schmal, aber das müsste reichen.
Sie drückt die Spülung, steigt auf den Klodeckel, öffnet das Fenster, zieht sich hoch, da hört sie ein surrendes Geräusch, zu leise für dieses Fluggerät, da ist sie sicher, und es darf jetzt auch keine Rolle spielen. Sie hat sich schon halb durch das offene Fenster gezwängt, schiebt sich nach draußen, kippt vornüber und purzelt runter auf ein Wiesenstück.

Als sie die Augen öffnet und nach oben schaut, wird ihr eiskalt. Bert Bronsius steht vor ihr und reicht ihr die Hand: „Wollten Sie nicht eine Riesengeschichte über mich schreiben, Frau Tonino? Aber erst machen wir beide einen kleinen Ausflug.

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