Polit-Talk im TV: Zwischen Psychoanalyse und Beichte

Zwei Forscher nehmen sich der Talkshows an und machen Kämpfe vor und hinter der Kamera aus.

Wuppertal. Ludgera Vogt und Andreas Dörner gucken Talkshows - und zwar so viele wie wohl kaum ein anderer Fernsehzuschauer. Sie tun das aber nicht, weil sie eine besondere Leidenschaft für Kerner und Co. empfinden, sondern aus rein wissenschaftlichem Interesse. Das Forscherpaar aus Wuppertal und Marburg will herausfinden, wie sich Politiker, Moderatoren und Regisseure bei Talkshows im "Kampf um die Inszenierungsdominanz" verhalten.

Im Dienste der Wissenschaft und mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) achten sie auf jedes Detail, wenn Guido Westerwelle (FDP) bei Beckmann in den Ring steigt. "Bei Westerwelle konnte man sehr genau verfolgen, wie er rund um die Bundestagswahl versucht hat, von seinem Spaß-Image wegzukommen. Sein Signal lautete: "Ich bin jetzt erwachsen", beobachtet Andreas Dörner, und Ludgera Vogt ergänzt: "Talkshows sind ideal für die Imagearbeit."

Deshalb lassen sich Politiker auch zunehmend über Privates ausfragen und sitzen auf dem Talkshow-Sessel, als bewegten sie sich zwischen Psychoanalyse und Beichte. Wie gut sie sich dabei "verkaufen", hängt nicht von der Parteizugehörigkeit ab, sondern ist Typfrage und Ergebnis der Inszenierung. "Bisher wurde oft gedacht, man gibt mit Talkshows den Politikern eine Bühne", sagt Ludgera Vogt. "Aber es steckt mehr dahinter." Zum Beispiel die Kameraführung. Sie kann über Erfolg oder Misserfolg eines Auftritts entscheiden, kann Stimmung machen und kommentieren. "Es ist ein Kommentar, wenn bei Hessens gescheiterter SPD-Kandidatin Andrea Ypsilanti im Hintergrund stets ein kopfschüttelnder Zuschauer zu sehen ist."

In anderen Fällen geht der Zoom wiederholt auf den gelösten Rocksaum einer Politikerin. "Reine Boshaftigkeit ist das aber nicht", schränkt Ludgera Vogt ein. "Es ist schließlich nicht ganz einfach, Bewegung in eine Szene zu bekommen, in der Menschen einfach nur dasitzen. Die Kamera muss für Abwechslung sorgen."

Und sie hält Grenzen ein. In Interviews mit Moderatoren und Talkshow-Machern versucht sich das Forscher-Duo ein möglichst genaues Bild von der gegenseitigen Abhängigkeit der Protagonisten zu machen. "Auch der Sender will schließlich, dass der Gast wiederkommt", meint Andreas Dörner. Eine symbiotische Beziehung nennt der Forscher das. "Wir kennen einen Fall, da hat die Kamera viel Rücksicht genommen, weil ein politischer Gast während der Sendung eingeschlafen war."

Darüber hinaus sind Vorabsprachen durchaus üblich, wenn Politiker in die Show kommen. Dörner: "Da lässt sich vieles aushandeln, nicht aber, wie die übrigen Gäste reagieren. Diese Unwägbarkeit kann für betroffene Politiker zum Risiko werden."

Abhängig ist dies auch vom Format. Die TV-Forscher unterscheiden zwischen politischer Debatten-Show, Bekenntnis-Show und Personality-Talkshow.

"In Debatten-Shows bilden sich Parteiformate ab, in Personality-Talkshows werden Sympathien und Antipathien für die Wahlentscheidungen geprägt", fasst Dörner zusammen. Die Fernsehkultur nimmt also entscheidenden Einfluss auf die politische Kultur. Nach seiner Einschätzung haben die klassischen Talkshows ausgedient. Die neuen Formate sind provokanter, jünger unterhaltsamer. Stefan Raab, Harald Schmidt und Frank-Markus Barwasser (Pelzig unterhält sich) sind die Talk-Titanen der Zukunft. Die Politik muss sich darauf einstellen und kann womöglich die Talkshow-Experten aus den Universitäten zu Rate ziehen, denn, so Ludgera Vogt: "Die Ergebnisse unserer Untersuchung könnten den Parteien schon aufzeigen, wo Chancen und Risiken in Talkshows liegen."

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