Wuppertaler Stadthalle Pianist Martin Helmchen: Samtweiche Töne und ein pompöser Marsch

Martin Helmchen fasziniert mit einer Anschlagskultur von großer Strahlkraft. Der Auftritt des Pianisten in der Stadthalle war der letzte Teil des Bayer-Klavierzyklus in dieser Spielzeit.

Pianist Martin Helmchen ist in der Historischen Stadthalle aufgetreten. Archiv

Pianist Martin Helmchen ist in der Historischen Stadthalle aufgetreten. Archiv

Foto: M. Borggreve

Wuppertal. Wer meinte, mit den Konzerten der ganz großen alten Meister Radu Lupu, Elisabeth Leonskaja und Daniel Barenboim in den letzten Wochen hier in Wuppertal — wir berichteten darüber — restlos auf seine Kosten gekommen zu sein, der musste sich eines Besseren belehren lassen. Man hätte über etwa 55 Minuten eine Stecknadel fallen hören können. So mucksmäuschenstill war es im Auditorium des Men-delssohn Saals der Stadthalle, als nun Martin Helmchen im Rahmen des Klavierzyklus’ der Bayer-Werke in die Tasten des Konzertflügels griff.

Er zählt bekanntlich zu der jüngeren Pianistengeneration, hat sich aber bereits etliche Meriten erworben. Nicht von ungefähr trat er bereits unter anderem mit den Berliner und Wiener Philharmonikern auf. Der Grund dafür wurde an die-sem Abend ganz offensichtlich.

Neben seinem in allen Belangen perfekten pianistischen Können faszinierte er mit einer Anschlagskultur von unglaublich großer Bandbreite und Strahlkraft. Unter einer klugen Verwendung des linken und rechten Pedals gelangen ihm atemberaubend schöne ganz leise samtweiche Töne. Sein Lauter- und Leiserwerden (crescendo, decrescendo) ähnelten einem sensiblen Drehen des Lautstärkereglers an einem Verstärker. Dann wiederum brachte er das Tasteninstrument höchst kultiviert klanggewaltig zum Erklingen.

Außerdem waren es Ludwig van Beethovens nicht ganz einstündigen Diabelli-Variationen op. 120, mit denen er das Auditorium komplett zum Schweigen brachte. Wie Beethoven das harmlose Walzerthema des drittklassigen Tonschöpfers Anton Diabelli auf 33 verschiedene Arten hinsichtlich Rhythmik, Tempo, Tonsatz, Lautstärke oder Umspielungen verarbeitete, war seinerzeit einzigartig.

Helmchen machte hier einen umwerfenden, tief ausgeloteten Parforceritt über einen pompösen Marsch, hämmernde Aggressivität, feierliche Gesten, betuliche Kantabilität, eine gestochen scharf akzentuierten Fuge bis hin zum feinst ausgearbeiteten Menuett. Klar, dass nach diesem Mammutwerk trotz begeisterten Beifalls eine Zugabe ausblieb.

Helmut Lachenmann, Komponist, über sein Werk „Fünf Variationen über ein Thema von Franz Schubert“ aus seiner Studentenzeit, dessen Strukturen Pianist Martin Helmchen lupenrein vermittelte.

Doch damit nicht genug. In der ersten Konzerthälfte war zu-nächst Franz Schubert zu hören, und zwar seine selten auf Programmen stehenden 13 Variationen über ein Thema von Anselm Hüttenbrenner (D 576). Absolut stringent entschlackte Helmchen dieses Opus von aufgeblasenen Romantizismen. Eher trocken, dennoch nicht frei von einer geschmackvollen lyrischen Note, arbeitete Helmchen Schuberts Bezüge zu seinem großen Vorbild Beethoven leicht verständlich heraus.

Mit einem Schubert-Thema ging es weiter: der kleine Walzer in cis-Moll (D 643/1). Er war im Jahr 1956 für den zeitgenössischen Komponisten Helmut Lachenmann Inspiration zu fünf kleinen Variationen. „Es ist vorwiegend von rationalen Prinzipien in Anlehnung an Motivtechniken Schönbergs und des späten Strawinsky geprägt, und doch ist das musikantische Element und der tänzerische Charakter, wenn auch immer anders gebrochen, erhalten geblieben“, meinte einmal der Komponist zu dem Werk aus seiner Studentenzeit. Diese Strukturen und Ausdrücke vermittelte Helmchen lupenrein.

Die 17 „Variations sérieuses“ op. 54 aus der Feder von Felix Mendelssohn Bartholdy gab es obendrein. Bei diesen, in der Nachfolge Beethovens stehenden, virtuosen Bravourstücken sprühte sein Spiel vor glasklar perlenden Tonkaskaden und leidenschaftlicher Ausdruckskraft. Es war also nicht nur ein großartiger Pianist zu erleben. Auch das reine Variationsprogramm mit Beethovens größtem und reichhaltigstem Variationswerk sowie den anderen mit ihren latenten Bezügen zu ihm war hoch spannend. Ein großartiger Abend.

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