Neue Seelsorgerin: „Der Knast ist Stigmatisierung genug“

Nach 20 Jahren Schuldienst kümmert sich Ulrike Hollander (50) künftig um Inhaftierte.

Sie waren 20 Jahre lang Pfarrerin im Kaufmännischen Berufskolleg in Wuppertal. Warum wechseln Sie jetzt an die JVA Ronsdorf?

Ulrike Hollander: Ich wollte die Herausforderung. Bis Jugendliche im Gefängnis landen, ist ja bereits viel passiert, viel verloren gegangen. Diese Menschen, die nun sichtbar am Rand der Gesellschaft gelandet sind, zu begleiten, mit ihnen an sich selbst, an Perspektiven zu arbeiten, halte ich für eine wichtige Aufgabe, der ich mich stellen will. Auch den Bereich Spiritualität und Gottesdienst im Knast zu gestalten, gehört für mich zu der Herausforderung dieser Stelle.

Hätten Sie sich da nicht ein leichteres Feld suchen können?

Hollander: Die Jugendlichen sind weit davon entfernt, nicht glauben zu wollen. Viele haben zwar eine große Distanz zur Kirche, aber nicht zu spirituellen Inhalten. Draußen haben viele zur Kirche sicherlich kaum Kontakt. Im Gefängnis ist Kirche auch ein Freiraum, die Möglichkeit, aus dem täglichen Alltagstrott zu entfliehen. Außerdem kann in den Gottesdiensten etwas Mystisches, Geheimnisvolles passieren. Wenn die Gottesdienste in Sprache und Inhalt auf die Jugendlichen ausgerichtet sind, sind sie empfänglich für religiöse Inhalte. Ich war bisher bei zwei Gottesdiensten dabei. Ich habe beobachtet, dass sich viele der Jugendlichen bekreuzigen oder ein stilles Gebet sprechen und sich einen Moment lang einlassen, auf eine andere Wahrnehmung, auf Nähe zu Gott.

Das klingt sehr optimistisch. Das ist doch sicher ein harter Job?

Hollander: Die Bedingungen in einem totalen Kontrollsystem Gefängnis sind natürlich verschärft und die Aufgabe ist alles andere als leicht. Im Gefängnis geht es wie in der Schule auch um Beziehungsarbeit. In der Schule hatte ich eine Klasse von 25 Jugendlichen vor mir, jetzt kann ich Einzelgespräche führen. Sicher werde ich auch die Erfahrung machen, zu scheitern. Der ein oder andere wird möglicherweise versuchen, die Beziehung zu mir auszunutzen. Aber der Knast ist Stigmatisierung genug. Ich will an das Gute anknüpfen, was ich sehe. Wenn das nicht mehr gelingt, sollte man diesen Job nicht machen.

Sie sind die einzige Frau. Haben Sie keine Angst vor Begegnungen mit Jugendlichen, die zum Teil Schwerverbrecher sind? Oder vor sexuellen Anspielungen?

Hollander: Ich denke, es ist für die Jungs gut, dass es männliche und weibliche Ansprechpartner gibt. Schließlich sind diese jungen Männer auch von Frauen erzogen worden. Vielleicht ist es gut, an der ein oder anderen Stelle auch ein weibliches Gegenüber, oder auch ein Korrektiv zu haben, mit dem “mann“ sich auseinander- setzen kann, das neue Aspekte vom Mann — Frau Verhältnis thematisiert, oder vielleicht ist es auch so etwas wie mütterliche Akzeptanz, die dem ein oder anderen gut tut. Natürlich wird es auch sexuelle Anspielungen geben, aber damit komme ich klar.

Die JVA Ronsdorf soll „Vorzeigeknast“, positive Antwort auf Siegburg und den Foltermord sein. Wie ist Ihr erster Eindruck?

Hollander: Es gibt Einzelhafträume und die Jugendlichen haben die Möglichkeit, eine Ausbildung zu machen, die Schule zu besuchen und vielen Freizeitaktivitäten nachzugehen. Es geht nicht ums Wegsperren, sondern um einen Behandlungsvollzug, in dem Sinnvolles und Sinnstiftendes mit den Jugendlichen gemacht wird. Trotzdem ist alles streng gesichert, das ist deutlich sichtbar und spürbar. Ob das Konzept Erfolg hat, wird sich erst in den nächsten Jahren zeigen.

Die JVA hat sich mit einem Gebetsraum und Fußwaschraum auf Muslime eingestellt. Sind Sie auch für Moslems zuständig oder gibt es einen eigenen Seelsorger?

Hollander: Natürliche stehen wir als Seelsorger allen Inhaftierten zur Verfügung, egal ob mit oder ohne Konfession, beziehungsweise mit welcher. Es gibt keine muslimischen Seelsorger und bisher auch keine Freitagsgebete, die von muslimischen Geistlichen gestaltet werden.

Welche Sicherheitsvorkehrungen gelten für die Gespräche der Seelsorger mit den Inhaftierten?

Hollander: Es gibt für Seelsorger, wie für alle anderen, die in einer JVA arbeiten, sogenannte Personenschutzgeräte, mit denen im Bedarfsfall ein Alarm ausgelöst werden kann. Wir Seelsorger tragen diese aber nicht, weil sie letztlich nicht abhörsicher sind, uns aber unsere Vertrauenswürdigkeit und Schweigepflicht ein hohes Gut ist. Daher gibt es keine Sicherheitsvorkehrungen, abgesehen von der eigenen Intuition und Gottvertrauen.

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