Mit der ganzen Kraft der Stimme

Das Ensemble von blubb-Hörspiele führt „Die Mitte der Welt“ auf. Das Live-Hörspiel der Wuppertaler basiert auf dem Jugendroman von Andreas Steinhöfel und setzt allein auf die akustische Umsetzung.

Mit der ganzen Kraft der Stimme
Foto: Anna Schwartz

„Können wir nicht mal richtig miteinander reden?“, drängt Phil mit leicht genervtem Unterton. „Bald — aber nicht jetzt“, wehrt Dianne bestimmt ab. Frage und Antwort gehören zu einem Dialog des 1998 erschienenen Romans „Die Mitte der Welt“. Um die weltbekannte Geschichte über die Probleme des Erwachsenwerdens von Andreas Steinhöfel mit Leben zu füllen, setzen Tom Raczko (als Phil) und Lena Gundermann (als seine Zwillingsschwester Dianne) bewusst „nur“ ihre Stimmen ein. Es geht ihnen darum, dass der Zuschauer „die Augen schließen und den Film vor seinem akustischen Auge genießen kann. Und wenn er seine Augen öffnet, kann er erkennen, wie seine Illusionen hergestellt werden. Ohne Computer, alles von Menschen selbst gemacht“, erklärt Regisseur Raczko. Mitte April führt das Ensemble von blubb sein Live-Hörspiel im Live Club Barmen auf.

Der Wuppertaler Tom Raczko ist zwar erst 24 Jahre alt, aber schon seit Kindesbeinen mit Hörspiel und Synchronisation vertraut. Heute lebt er von der Arbeit als Synchronsprecher und Schauspieler, bleibt in seiner Freizeit dem Metier treu und geht doch bewusst weiter. „Wir haben uns 2009 zusammengetan, um mit eigenen und fremden Stücken zu experimentieren, über die Grenzen der verschiedenen Genres hinauszugehen“, erzählt er. Wir, das sind Profi- und Laien-Sprecher und -Schauspieler, die sich mittlerweile in verschiedenen Konstellationen zu rund zehn Produktionen zusammengefunden haben. Immer mit dabei Raczko, Musikerin Katrin Berger und Jakob Jentgens, der sich um die Geräusche kümmert. Ging es von Anfang an darum, Hörspiele zu produzieren und zum kostenlosen Download anzubieten, bringt man seit 2013 auch Stücke live auf die Bühne. Mit dem Textblatt in der Hand, mit Mimik, Geräuschen, Gestik, aber ohne Bühnenbild, Kostüme und Maske.

Neun Sprecher machen beim aktuellen Live-Hörspiel mit. Eine sechsstündige Fassung wurde bereits 2012 im Studio aufgenommen. Die muss Tom Raczko nun in zwei Stunden pressen. „Die Mitte der Welt“ ist sein „Herzensprojekt“: „Es gibt kein Buch, das das Gefühl von Zuhause besser transportieren kann“, schwärmt er, hebt die detailreiche, berührende Sprache, die verschachtelte Erzählweise dieser vielen Geschichten ums Anderssein, um die Suche nach der Mitte, dem Zuhause des eigenen Lebens hervor. Tim Neuhaus, der Phils Freund Nicholas spricht, ergänzt: „Der Roman ist ab 14 Jahren. Aber wir sprechen alle Generationen an. Jeder hat sich schon mal anders gefühlt.“

Beim Kürzen verzichtet Tom Raczko auf viele Nebenstränge, konzentriert sich auf die Mutter Glass, die 17-jährigen Geschwister und den Freund. Mit dabei ist außer dem 27-jährigen Neuhaus, der im normalen Leben Versicherungs- und Finanzberater ist, auch die 21-jährige Lena Gundermann, die in Wuppertal Germanistik und Anglistik studiert. Seit Mitte vergangenen Jahres beschäftigt sich Raczko immer wieder mit dem Hörspiel-Text. Da das Team eingespielt ist und kein Text auswendig gelernt werden muss, reichen für die Proben sechs bis sieben, etwa dreistündige Termine.

Während in der bekannten Verfilmung 2016 Bilder die Fantasie der Zuschauer begrenzen und das Hörbuch von Rufus Beck von 2004 eben eine Lesung ist, geht es bei blubb um die „ruhige, nahe, ehrliche, sprachlich ästhetische Umsetzung“ der lebensnahen Steinhöfelschen Dialoge. Dazu gehört beispielsweise auch, dass Lena Gundermann in einer Szene so empfinden und sprechen muss, „als sei ich durch ein Messer verletzt worden“.

Wichtig für alle ist die Teamarbeit, die dazu führe, dass sich jede Aufführung anders entwickle, keine der anderen gleiche, meint Tim Neuhaus. In der Reaktion auf die anderen verkörpere man die Romanfiguren, hauche ihnen Leben ein. Das sei eine spannende Herausforderung und mache „jede Menge Spaß“, sagt Lena Gundermann lächelnd. Es ist eben Zeit, um richtig miteinander zu reden.

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