Mindestens ein Faustschlag pro Tag gegen einen Polizisten

Warum und mit wem Polizeibeamte als Schlichter bei alltäglichen Streitigkeiten immer größere Probleme bekommen.

Wuppertal. 30 Anwohner gegen 30 Polizeibeamte: Der Abend des 26.Februar auf der Wiesenstraße in der Elberfelder Nordstadt sorgt weiter für Diskussionsstoff - auch polizeiintern. Wie berichtet, war an jenem Donnerstagabend aus einem Familienstreit zwischen Vater (42) und Sohn(17) eine handfeste Massenschlägerei auf offener Straße geworden. Die Bilanz: sieben Festnahmen und vier Verletzte, drei davon aus den Reihen der Polizei.

Eine Eskalation die laut Georg Schulz, kommissarischer Leiter der Kreispolizeibehörde, immer noch die Ausnahme ist. Doch der 54-Jährige bestätigt: "Die Situation wird immer schwieriger." Fakt ist: Das Aggressions- und Gewaltpotenzial "auf der Straße" nimmt seit Jahren stetig zu. Das ist statistisch belegt. Im bergischen Städtedreieck holt im Schnitt ein Bürger einmal pro Tag zu einem Faustschlag gegen einen Polizeibeamten aus. Schulz beschönigt nichts: "Widerstandshandlungen sind an der Tagesordnung. Man muss sich das ganz klar vor Augen führen: Da werden Beamte in Uniform tätlich angegriffen."

Es gibt alte Erklärungsmuster, die Angriffe gegen Polizisten erklären. Natürlich handelt es sich bei den Tätern zumeist um junge Männer. Schulz: "Da ist ganz viel halbstarkes und hormongesteuertes Gehabe dabei." Und: Mehr als 40 Prozent aller von Jugendlichen und Heranwachsenden begangenen Körperverletzungen geschehen unter dem Einfluss von Alkohol.

Reicht das, um eine Eskalation wie auf der Wiesenstraße zu erklären? Dirk Bonsmann ist als Dienstgruppenleiter in Elberfeld tätig. Der 50-Jährige hat eine fatale Entwicklung ausgemacht: "Die Polizeibeamten verlieren an Respekt", konstatiert der erfahrene Polizeihauptkommissar. Als Schlichter werde der Polizeibeamte längst nicht mehr akzeptiert. Bonsmann: "Wenn wir erscheinen, heißt es nicht: ,Jetzt kommt einer, der ordnet’, sondern: ,Jetzt kommt ein neuer Gegner’".

Noch dramatischer zeigt sich dieser Klimawandel in der laut Bonsmann "zweiten und dritten Reihe". Damit sind die am eigentlichen, oft banalen, Geschehen gar nicht involvierten "Zuschauer" gemeint. Da wird ein ganz realer Polizeieinsatz zum Event für junge Leute. Das gegenseitige Filmen und Fotografieren mit allgegenwärtigen Fotohandys ist dabei laut Bonsmann noch das Harmloseste: "Viel schlimmer und vor allem störender ist, dass diese Leute sich aggressiv einmischen und fest überzeugt sind, es besser als die Polizei zu machen."

Selbstjustiz parallel zum Polizeieinsatz? An jenem Februar-Abend auf der Wiesenstraße war das zu beobachten. Immer wieder versuchten mehrere Personen, den vermeintlich schuldigen Vater zu schlagen. Als es deswegen die ersten Festnahmen gab, wurden prompt Befreiungsversuche gestartet.

Ist die Polizei überfordert? Schulz weist das energisch zurück: "Wir haben durchweg top ausgebildete Leute mit starken Nerven." Das Problem: "Bei Einsätzen dieser Art kommen wir meist in der Spitze des Konflikts dazu." Betroffen ist dann stets der Wachdienst, quasi die Feuerwehr der Polizei. Bezirksbeamte, die beispielsweise regelmäßig Schulen und auch Problemquartiere besuchen und dort ihre "Pappenheimer" kennen, sind laut Schulz weitaus weniger gefährdet.

Hin und wieder gibt es auch Lichtblicke. So kommt es durchaus vor, dass sich Angreifer bei der Polizei entschuldigen - hinterher, wenn sie allein im Polizeigewahrsam sitzen, ohne den vermeintlichen Rückhalt, den sie in der Masse auf der Straße spürten. Bonsmann schränkt allerdings ein: "Entschuldigungen sind leider die Ausnahme."

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