Offen gesagt Mehr als eine Randnotiz

Wuppertal. An der Goerdelerstraße in Vohwinkel wird dieser Tage die evangelische Kirche abgerissen. Das ist heutzutage für die meisten Medien und viele Menschen auch in Wuppertal allenfalls noch am Rande bemerkenswert, wenn sie überhaupt Notiz davon nehmen.

Und dass es sich um eine evangelische Kirche handelt, ist überall ja längst geübte Praxis. Die Begründung ist stereotyp: Weniger Gemeindemitglieder bedeuten weniger Einnahmen, weniger Einnahmen bedeuten weniger Einrichtungen. Das ist nur konsequent und wäre bei der katholischen Kirche vermutlich nicht anders, gäbe es dort nicht mehr wirtschaftliche Substanz.

Aber abgesehen davon, dass die evangelische Kirche schon nicht mehr den Eindruck erweckt, wirklich bis zum Letzten um jedes Gotteshaus zu kämpfen, ist diese Entwicklung auch für alle vermeintlich Nicht-Beteiligten von Bedeutung. Denn wo die Kirche sich zurückzieht, entsteht Leere. 20 barrierefreie Wohnungen, wie sie nun an der Goerdelerstraße gebaut werden, sind ein hehres Ziel, aber Ersatz für eine Kirche sind sie nicht. Vielmehr entsteht ein Fanal dafür, dass sich die Gesellschaft verändert, und dass eine der beiden großen Glaubensgemeinschaften nicht mehr in der Lage ist, diesem Wandel etwas entgegenzusetzen. Mit der Kirche an der Goerdelerstraße verschwinden Stadtgeschichte und Identifikation. Für viele Vohwinkeler, auch für Katholiken, war sie in der Jugend ein Treffpunkt, ein Ort, an dem sie mit Gleichgesinnten gebastelt, gesungen, gelacht und gefeiert haben. Und das immer, aber unaufdringlich angeleitet von den christlichen Werten, die Protestanten und Katholiken vertreten. Da geht es um Gleichberechtigung, um Respekt, um Loyalität, Nächstenliebe und Toleranz — Werte, die sich, mehr oder weniger deutlich, sogar in den Paragraphen des Grundgesetzes wiederfinden und die den Konsens auch dafür bilden, dass Menschen in einer Gemeinschaft miteinander leben können.

In Zeiten wie diesen ist es in einer Gesellschaft wie dieser notwendig und richtig, die Existenz solcher Werte auch dadurch zu dokumentieren, dass es Organisationen beziehungsweise Glaubensgemeinschaften gibt, die nach diesen Werten leben und lehren. Es ist wichtig und notwendig, jenen die Gewissheit zu geben, dass der Untergang des Abendlandes nicht bevorsteht, wenn ein paar Flüchtlinge nach Deutschland kommen oder ein paar Moscheen gebaut werden. Es ist notwendig, jenen Orientierung zu geben, die sich sonst abwenden von der Gesellschaft und ihren etablierten Führungskräften.

Die Kirchen haben auch in Wuppertal bereits viel Terrain verloren. Aber dass immer noch jeder zweite Wuppertaler Mitglied der evangelischen oder der katholischen Kirche ist, zeigt, dass die Glaubensgemeinschaften mehr Gewicht haben, als sie womöglich selbst von sich glauben. Umso schwerer wiegt der Abriss einer Kirche, umso schwerer wiegt höfliche Zurückhaltung, wo das Angebot richtig wäre, sich mit der modernen Interpretation des Christentums zu beschäftigen. Geschieht das nicht, versuchen andere zu bestimmen, nach welchen Werten die Gesellschaft leben soll. Diese selbst ernannten, verzichtbaren Alternativen politischer und religiöser Natur sind auch in Wuppertal längst unterwegs.

Deshalb ist es viel mehr als nur eine Randnotiz, dass an der Goerdelerstraße die evangelische Kirche abgerissen wird.

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