Wuppertal Wuppertaler Oper: Hoffmanns Erzählungen starten furios

Wuppertaler Oper begeistert das Premierenpublikum. Dies liegt nicht zuletzt an den Risiken, die das mutige Ensemble eingeht.

Wuppertal: Wuppertaler Oper: Hoffmanns Erzählungen starten furios
Foto: Jens Großmann

Wuppertal. Da ist das Premierenpublikum ganz einer Meinung, wenn es keinen mehr kurz nach dem letzten Ton von Jacques Offenbachs Oper „Hoffmanns Erzählungen“ auf den Sitzen hält und jeder eifrigst applaudiert. So etwas hat man im Wuppertaler Opernhaus seit vielen Jahren nicht mehr erlebt. Um genau zu sein, kamen solche Beifallsbekundungen mit Beginn der Fusion mit dem Haus in Gelsenkirchen zum „Schillertheater NRW“ im Jahr 1996 nicht mehr vor.

Wie kommt es dazu, einen Tag nach der umwerfenden Premiere von Steve Reichs Video-Oper „Three Tales“? Ganz einfach: Das neue Ensemble unter der Ägide des neuen Opernintendanten Berthold Schneider traut sich etwas, geht Risiken ein. Und die Fans des Musiktheaters spüren, dass wieder ein Team zusammenwächst und es an einem Strang zieht. Ja, der Hoffmann. Das ist ein abendfüllendes Lied, das man — salopp ausgedrückt — zu den „Egerländer Welthits des Musiktheaters“ zählen darf. Man kennt das Stück eigentlich aus dem Effeff, obwohl es bis heute keine endgültige Fassung davon gibt.

Und was macht die Wuppertaler Oper daraus? Erst einmal verkommt der gesamte Barmer Kulturpalast zu Luthers Spelunke. Und man spricht und singt hier natürlich deutsch. Barmer Platt wäre auch keine schlechte Idee gewesen.

Dann wird der Olympia-Akt in die nachtschlafende Zeit verlegt. Zur Geisterstunde gibt es eine skurrile Party. Antonias Dahinsiechen, weil sie das Singen nicht seinlassen kann, ist ein Psychogramm ihrer selbst und wird von allen anderen allein gelassen. Und Giulietta ist eine als Krankenschwester aufgedonnerte Nutte, die Hoffmanns Schatten und Seele mit einem Katheter aus seinem Körper saugt.

Dann nehmen auch noch die eigentlich vier männlichen Bösewichte Frauengestalten mit baritonaler Stimme an: Landrätin Lindorf, Coppelius, Frau Doktor Miracle, die lesbische Nonne Dapertutto. Lucia Lucas meistert diese Rollen stimmlich und darstellerisch bravourös. So etwas hat man hier noch nicht erlebt. Spontane Meinung eines fachkundigen Besuchers dazu: „Ist Wuppertal auf einmal wieder eine kulturelle Großstadt?“

Gleich vier Regisseure sind dafür zuständig, auch ein Novum: Charles Edwards (1. Akt), Nigel Lowery (2. Akt), Christopher Al-den (3. Akt), Inga Levant (4. Akt). Deswegen verkommt die fantastische Oper aber keineswegs zu einem Stückwerk. Der rote Faden — Hoffmanns innere Konflikte und Frauenanbetungen — zieht sich von der ersten bis zur letzten Note stringent durch. Die Inszenierung dieser Opéra-fantastique kann sich auch hören lassen. Sopranistin Sara Hershkowitz schlüpft in die Rollen der Olympia, Antonia und Giulietta. Die schweren Partien meistert sie exzellent, alle „hohen C’s“ sind da. Jede Person stellt sie mit ihrer wandelbaren Stimme anders dar. Mickael Spadaccini hat einen beweglich-strahlenden Tenor und spielt den Hoffmann mit grandiosen Gesten.

Auch die anderen Solisten überzeugen mit tragfähigen Gesängen. Diesen hohen Qualitäten stehen Opernchor und Extrachor der Wuppertaler Bühnen in nichts nach. So gerät etwa die finale Apotheose zu einem herrlichen Ohrenschmaus. Dirigent David Parry achtet dabei mitatmend und sorgsam auf das Bühnengeschehen, lotst mit zupackenden Tempi durch die Abläufe. Und das Sinfonieorchester Wuppertal sorgt für eine sehr nuancierte Musik. Diese Produktion kommt auf hohem Niveau sehr lebendig von der Bühne. Ein erstklassiger Neuanfang ist damit gemacht. Man kann zuversichtlich den weiteren Programmen dieser Spielzeit entgegenfiebern.

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