Winterlicher Bonnard: Im Kunstmuseum schmelzen die Vorurteile

Der Winter ist noch lange nicht Schnee von gestern: Bonnards Ansichten sind aktueller denn je.

Elberfeld. Schnee im Museum? Beate Eickhoff wird ganz warm ums Herz, wenn sie an die kalten Winterfreuden denkt, die auch im Von der Heydt-Museum Spuren hinterlassen.

Derzeit sind es vor allem zwei Gemälde, die die äußere Stimmung im gut beheizten Inneren spiegeln: „Ich liebe die Schneebilder von Bonnard“, sagt die Museumsmitarbeiterin. „Sie haben etwas ganz Geheimnisvolles.“ Außerdem erinnern sie Eickhoff an eigene Schneeballschlachten. „Ich glaube, das geht den meisten so“, erklärt sie. „Viele verbinden Schnee mit ihrer Kindheit.“ Dass es auch Bonnard nicht anders gegangen sein dürfte, ist zu vermuten: Eines seiner Bilder, das noch bis zum 30. Januar in der aktuellen Sonderausstellung zu bewundern ist, zeigt „Schnee in Grand-Lemps“. „Dort hat er seine Kindheit verbracht“, weiß Eickhoff.

Wer die malerischen Folgen des Winters im Von der Heydt-Museum entdeckt, kann deshalb gleich zweierlei erkennen: dass die Farbe der Reinheit, Unschuld und Sauberkeit im Einzelfall nicht nur persönliche Erinnerungen weckt, sondern ganz allgemein auch viele Facetten haben kann. Denn wer behauptet, dass nichts leichter zu malen sei als eine weiße Fläche, muss sich warm anziehen, wenn Eickhoff das Gegenteil erklärt. „Speziell an den Schneebildern erkennt man, wie intensiv sich Bonnard mit einem Thema auseinandersetzte und wie genau er gearbeitet hat“, sagt sie. „Wie malt man weiß? Das ist alles andere als einfach.“

Dass sich der Franzose „viel mit dem Wetter und damit beschäftigt hat, in welchen Farben sich der Himmel präsentiert“, zeigt sich vor allem bei einer Leihgabe aus einer Privatsammlung: Der Himmel über dem „Schnee in Grand-Lemps“, den Pierre Bonnard vor hundert Jahren auf der Leinwand festgehalten hat, schimmert bis heute in faszinierenden Gelbtönen.

Der Rest ist der Phantasie überlassen, wie Eickhoff betont. „Das Tolle ist, dass man sich eine Geschichte zum Bild frei entspinnen kann.“ Das liegt vor allem daran, dass Bonnard auch in seinen Schnee-Szenen Details an den Bildrand rückt, die angeschnitten sind, die Perspektive brechen und die Phantasie beflügeln.

„Links unten könnte zum Beispiel die Ecke eines Trogs zu sehen sein“, sagt Eickhoff. „Dann wäre die Person links oben vielleicht ein Mann, der Tiere füttert.“ Es könnte aber auch ein Wilddieb sein, der seine Beute in einem Sack auf dem Rücken trägt. Spannend ist auch eine andere Frage: Weshalb ist der Busch so grün und die Baum-Reihe so kahl? Bonnard lässt es bewusst in der Schwebe. Auch in einer anderen Winterlandschaft („Spielende Kinder im Schnee / Die Straße“) deutet sich ein wichtiges Detail am Rande an. Ist es womöglich eine Kutsche?

Fakt ist: Bei der Leihgabe aus Karlsruhe wirkt der Himmel nicht gelblich, sondern deutlich grauer — tief hängende Schneewolken schweben über den spielenden Kindern und lassen erahnen, dass die weiße Pracht noch lange kein Ende hat. „Man verbindet Impressionisten hauptsächlich mit Terrassen, Meer und Sommer. Aber wenn man genauer hinschaut, sieht man bei ihnen auch viel Schnee“, betont Eickhoff, die somit Vorurteile schmelzen lässt. „Auch bei Monet und Sisley gibt es interessante Winter-Landschaften.“

Wer glaubt, dass sich Spät-Impressionisten wie Pierre Bonnard allein von mediterranen Gestaden, azurblauen Himmeln und südlicher Natur inspirieren ließen, irrt sich also gewaltig. Weshalb die Schneebilder dennoch weit weniger bekannt sind? Die wenigsten Kunst-Liebhaber hängen sich Drucke oder Bilder ins Wohnzimmer, die Kaltes spiegeln, vermutet Eickhoff. Zwischen den eigenen vier Wänden wolle man dann doch eher auf der Sonnenseite des Lebens stehen und den Strand sehen.

Eickhoff hingegen liebt die kühle Ruhe, die Bonnards Bilder ausstrahlen. Schnee im Museum? Für Eickhoff ist er mindestens genauso schön wie das Original vor der eigenen Haustüre.

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