Wuppertal Tanztheater Pina Bausch prallt auf klassisches Ballett

Drei Tänzer aus Wuppertal studieren ein Stück mit dem Bayerischen Staatsballett ein: „Das ist eine völlig andere Kultur.“

Wuppertal: Tanztheater Pina Bausch prallt auf klassisches Ballett
Foto: Anna Schwartz

Wuppertal. Es ist ein Riesenprojekt: Die Pina Bausch Foundation überlässt erstmals einer anderen Compagnie ein Stück von Pina Bausch. Seit Dezember 2014 reisen die künstlerischen Leiter des Projekts Ruth Amarante, Daphnis Kokkinos und Azusa Seyama immer wieder nach München, um Tänzern des Bayerischen Staatsballetts das Stück „Für die Kinder von gestern, heute und morgen“ nahezubringen. Ab Sonntag probt das Trio bis zur Premiere am 3. April durchgehend mit den Kollegen.

Was ist das Schwierigste für die Tänzer des Bayerischen Staatsballetts — die Sprache, weil sie im klassischen Ballett nicht vorkommt?

Ruth Amarante: Nein, das ist es nicht. Wir gehen auch mit einem Stück hin, in dem nicht so viel gesprochen wird und in dem es sehr viel Tanz gibt: Es hat 14 Soli. Von der Bewegung her ist es für sie komplettes Neuland.

Daphnis Kokkinos: Stöckelschuhe und normales Barfußlaufen sind auch nicht einfach für klassische Tänzerinnen und Tänzer.

Die Compagnie hat fast 70 Tänzer. Wonach haben Sie die 21 Kollegen ausgesucht, mit denen Sie weiterarbeiten wollten?

Daphnis Kokkinos: Das sieht man einfach.

Was sehen Sie denn?

Ruth Amarante: Das ist rollenspezifisch — der Charakter muss passen, und die Bewegungsqualität sowieso. Ein Beispiel: 30 Münchner haben uns Kenjis Solo vorgetanzt. Und es gab vielleicht zwei, mit denen man anfangen konnte zu arbeiten.

Wie vermitteln Sie die ganz andere Form von Tanz?

Ruth Amarante: In der ersten Phase sind die Wuppertaler, die die jeweilige Rolle tanzen, jeweils circa dreimal hingefahren und haben ihren Part mit dem Münchner Tänzer eingeübt, der dort die Rolle tanzt. Sonst hätten wir drei Jahre nur für das Erlernen von 14 Soli gebraucht (lacht).

Wie kommen Sie voran?

Ruth Amarante: Das Gerüst ist da, jetzt arbeiten wir daran, dass Leben hineinkommt. Wir haben gedacht, dass es nicht einfach sein würde, aber wir haben nicht gewusst, dass es so schwierig sein würde, dass man jede kleine Bewegung erarbeiten muss, um zu einem Ganzen zu kommen.

Daphnis Kokkinos: Das ist wie ein Brot, das noch nicht gebacken ist.

Was macht die Arbeit so langwierig?

Daphnis Kokkinos: Das sind natürlich sehr gute und sehr trainierte Tänzer. Sie wissen auch sehr schnell, wann sie wo stehen oder hereinkommen sollen — da sind sie fantastisch.

Ruth Amarante: Aber wir gehen in eine vollkommen andere Kultur, wo Form, Äußerlichkeit und Ästhetik die Hauptrollen spielen. Die Tänzer proben erst „Schwanensee“ und kommen dann zu uns in die Probe — das ist schon ein Bruch.

Wie gehen Sie im Detail vor?

Ruth Amarante: Für unsere Form des Tanzens müssen wir jedem Tänzer verständlich machen, warum eine Bewegung so aussieht und wo sie herkommt. Dann muss es auch sein Körper noch verstehen. Es ist Millimeterarbeit, damit die Bewegung Tiefe und Farbe bekommt. Es ist eine sehr, sehr lange Arbeit, dass ein Tänzer eine Bewegung nicht nur macht, sondern dass sie zu ihm gehört.

Mit den Bewegungen an sich dürften Ihre Kollegen aber doch keine Schwierigkeiten haben?

Ruth Amarante: Im klassischen Ballett hat man ein bestimmtes Bewegungsrepertoire. Bei uns muss man in einer Bewegung manchmal sehr viele Körperrichtungen unterbringen: Der Fuß zeigt dahin, die Schulter geht in eine andere Richtung, und der kleine Finger steht ab — und alles hat eine Bedeutung.

Wie kommen die Münchner mit der Musik zurecht, die von Nina Simone über Bugge Wesseltoft bis zu Prince reicht?

Daphnis Kokkinos: Im klassischen Ballett muss der Tänzer der Dynamik der Musik folgen und auf dem Takt tanzen. Bei Pina funktioniert das ganz anders, man muss (außer natürlich bei bestimmten Stücken) nicht auf die Musik tanzen, und man muss nicht die Musik interpretieren. Der Tanz jedes einzelnen Tänzers hat eine bestimmte Dynamik, Akzente und Timing, was zusammen die Qualität ausmacht. In München müssen wir mit den Tänzern sehr viel mit diesen Qualitäten arbeiten — sehr viel arbeiten.

Wie reagieren Ihre Kollegen in München auf die Proben?

Daphnis Kokkinos: Sie sind sehr interessiert und bemüht.

Ruth Amarante: Und begeisterungsfähig, es ist ein Genuss mit ihnen zu arbeiten. Sie fühlen sich im Ganzen bereichert, sind mit viel Lust bei der Sache. Nur einer hat mal gesagt: „Ich möchte nicht, das meine Knie schmerzen. Ich möchte schön aussehen.“

Sind Sie optimistisch, dass bis zur Premiere alles gut klappt?

Ruth Amarante: Wir sehen schon eine unglaubliche Entwicklung — auch wenn sie nicht dahin kommen, wo wir sind. Das ist einfach ein unglaublich langer Prozess.

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