Sinfoniker und ihr Instrument (4): „Die Geige ist nicht nur ein Stück Holz“

Dagmar Engel spielt im wahrsten Wortsinn die erste Geige im städtischen Orchester. Seit dem Jahr 2000 gehört sie fest zum Ensemble.

Frau Engel, keine Frage: In der Musik kommt es auf den Klang an. Das fängt schon bei der Bezeichnung an: Sagt der Profi lieber Violine oder Geige?

Dagmar Engel: Wir Geiger nennen unser Instrument hauptsächlich „Geige“. Die Bezeichnung „Violine“ wird eher im Schriftlichen verwendet, zum Beispiel in Programmheften. Da gibt es dann die 1. Violine und die 2. Violine.

Was muss man mitbringen, um eine Geige zu „beherrschen“?

Engel: Dazu gehören viele Veranlagungen: eine musikalische Begabung (die man in die Wiege gelegt bekommen hat), ein ausgeprägtes motorisches Talent (für die schnellen Stellen und komplexen technischen Spielfertigkeiten sowohl der linken wie auch der rechten Hand), dazu viel Geduld und Durchhaltevermögen (tägliches Üben), gepaart mit dem Ehrgeiz, immer besser werden zu wollen, aber auch die große Freude und Leidenschaft für die Musik und an der Geigenliteratur.

Weshalb haben Sie sich für die Geige entschieden — und nicht für Pauke, Flöte oder Fagott?

Engel: Ich habe mit sechs Jahren meine Mutter so lange bedrängt, Geige spielen zu wollen, bis sie mich schließlich an der Musikschule angemeldet hat. Warum ich damals unbedingt Geige spielen wollte, weiß ich bis heute nicht. Ich weiß aber, dass mich der Klang der Geige bis heute tief berührt.

Hätten Sie sich für ein anderes Instrument entschieden, hätten Sie deutlich weniger Einsätze. Ist es eine akzeptierte Tatsache, gar eine pure Ungerechtigkeit oder aber, im Gegenteil, eine beglückende Selbstbestätigung und positive Herausforderung, dass Sie sicherlich mehr zu spielen haben als so mancher Kollege aus einer anderen Instrumentengruppe?

Engel: Geigespielen ist für mich die größte Freude, von daher stellt sich mir die Frage des Vergleichens nicht. Im Gegenteil: Wenn ich als 1. Geiger in meinen Noten mehr als 20 Takte Pause sehe, heißt das, dass ich entweder zählen muss oder eben nichts zu tun habe. Das fällt mir schwer. Es ist spannend, als Geiger immer die Musik mitgestalten zu können und im wahrsten Sinne des Wortes „die 1. Geige“ spielen zu dürfen. Wenn man lange Pausen hat, bedeutet das auch, seine Spannung nicht zu verlieren — das kann sehr anstrengend sein.

Jede Instrumentengruppe ist Ziel gewitzter Vorteile. Einer der kürzesten besteht aus zwei Sätzen („Wie heißt Geigenkasten auf Spanisch?“ — „Fidel Castro.“). Haben Sie einen Lieblingswitz? Oder verstehen Sie, was die Geige betrifft, keinen Spaß?

Engel: Doch, ich verstehe Spaß, auch was die Geige betrifft. Es ist nun mal so, dass wir Musiker entweder, bevor wir mit dem Instrument zusammenwachsen, oder durch das verschiedenartige Spielen der Instrumente bestimmte Charaktereigenschaften und Gewohnheiten annehmen beziehungsweise haben. Das führt zu so manchem Witz und einigen Lachern während der Proben.

Haben Sie einen Lieblingskomponisten? Ein Lieblingsstück? Eine Lieblingsepoche?

Engel: Das habe ich nicht. Jede Epoche hat fantastische Komponisten und Werke hervorgebracht und jedes Stück davon ist einzigartig. Ich denke, mir entspricht die romantische und expressionistische Musik am ehesten, da ich dann Gefühl und Expressivität am stärksten zum Ausdruck bringen kann.

Gibt es andererseits ein Stück, eine Epoche, einen Komponisten, bei dem sie innerlich seufzen, wenn Sie wissen, was beim nächsten Konzert auf Sie zukommt?

Engel: Neue Musik, deren Inhalt sich mir selbst nach intensiver Probenarbeit nicht erschließt, wird dann zu einer Pflichterfüllung. Ich kann mich mit ihr nicht verbinden, und so spiele ich „nur“ die Noten und freue mich auf das nächste Stück.

Was war das bisher schönste Erlebnis im Wuppertaler Orchester?

Engel: Eines der schönsten Erlebnisse war ein Konzert auf einer der beiden Japan-Tourneen. Wir hatten gerade ein großartiges und sehr emotionsgeladenes Konzert beendet — jeder von uns hatte sein Bestes gegeben. Erschöpft, aber auch erfüllt freuten wir uns über den überwältigenden Applaus der Japaner. Neben mir standen plötzlich drei Japaner — mit Tränen in den Augen — auf und gaben mir die Hand, um sich bei mir und dem Orchester zu bedanken. Bis heute rührt mich diese Geste und Reaktion.

Das Sinfonieorchester ist nicht nur in Wuppertal gefragt, sondern gibt auch regelmäßig Gastspiele. Wie transportieren Sie die Geige dann im Flugzeug?

Engel: Die Geigen dürfen wir tatsächlich mit in das Flugzeug nehmen. Sie wird entweder in den Ablagen über den Sitzen verstaut oder das Flugpersonal findet noch einen anderen Platz. Es wäre für mich geradezu unerträglich, meine Geige nicht ganz nah bei mir zu wissen.

Hat die Geige bei Ihnen zu Hause einen Ehrenplatz?

Engel: Sie hat keinen bestimmten Platz, aber einen Ehrenplatz in meinem Herzen. Ich fühle mich mit ihr eng verbunden. Sie ist eben nicht nur ein Stück Holz, sondern ist einzigartig, hat eine „Geigenseele“ und bedeutet für mich ein großes Geschenk.

Was wären Sie geworden, wenn Sie nicht die Geige für sich entdeckt hätten?

Engel: Oh je, eine lustige Frage — das weiß ich nicht. Schon als Schülerin in der Oberstufe ist mir aufgefallen, dass ich in den Ferien ohne Geige schwere Entzugserscheinungen hatte. Dadurch wurde mir sehr klar, dass das Geigen mehr als ein Hobby ist: eine Berufung, eine Leidenschaft. Ich bin sehr dankbar für diese Begabung. Und wenn man dann noch anderen Menschen damit Freude bereiten kann, gibt es für mich keinen schöneren Beruf.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort