Rainald Grebe im Opernhaus: Ein Wutbürger aufdem Psycho-Trip

Rainald Grebe ist „vor nichts fies“. Der Musik-Kabarettist wurde am Dienstagabend im ausverkauften Opernhaus bejubelt.

Barmen. „Das psychologische Jahrhundert ist vorbei“, singt Rainald Grebe und meint das nicht wirklich. Im ausverkauften Opernhaus begibt sich der 40-jährige Musik-Kabarettist in seinem vierten Solo-Programm nämlich auf einen Psycho-Trip — ganz nach der Maxime: „Werde, der du bist.“

Die Suche nach dem Ich dokumentiert er mit Baby-, Kinder-, Jugend- und Familienfotos. Und die zeigen den ausgesprochen biederen Lebenslauf eines behüteten Sohnes der Lehrerin und des Vaters, der sich gerne verkleidet und der eigentlich aus der Unterschicht kommt: „Daher wohl meine Liebe zur Bühne und zum Proletariat.“

Und der Song dazu muss laut sein. Also hämmert Grebe auf den Flügel ein und weiß genau: „Lang Lang werde ich nicht.“ Dabei ist er mit der Blockflöte groß geworden. Kein Wunder, dass er sie schrill überbläst, um auch damit abzurechnen: „An Nikolaus war Leistungsschau im Partykeller und alle hatten diese Röhre im Mund.“ Will er wütend und aggressiv auf das Establishment prügeln? „Ich bin auf der Flucht“, röhrt und wiehert er ins Mikro, drischt akkordisch auf den Flügel ein und rollt gefährlich mit den Augen.

Warum also breitet der gelernte Puppenspieler sein Leben öffentlich aus? Was muss der Wutbürger Grebe verarbeiten? „Oben“ heißt sein Song, der beschreibt, wie er sich in der oberen Gesellschaftsschicht eingenistet hat und doch damit hadert.

Grebe ist ein Wortakrobat, der alle Assoziationen sogleich unterbringt und Redensarten und Sprüche entlarvt. Und weil sein Ego-Trip auch eine Generationenbeschreibung ist, finden sich so viele im Publikum in ihm wieder und bejubeln ihn — nicht zuletzt wegen seiner kleinen, aber scharfen politischen Spitzen. Und natürlich auch, weil er sich „vor nichts fies ist“: Sein Outfit mit Kondom auf dem Kopf, das er mit der Nasenluft aufbläst, bis es platzt, mit dem rosa Ballettröckchen und mit den blinkenden Bugs-Bunny-Öhrchen oder dem zerzausten Indianer-Kopfschmuck sind schon schrill.

Da hat er auch Rückblenden auf seine früheren Alben und Auftritte versteckt. Dass er sich musikalisch bei der Klassik bedient, bei Billy Joel, Udo Jürgens oder BAP schnuppert, nimmt ihm keiner übel. Absurdes Theater packt er als stammelnder Tourette-Kranker in den aggressiven Song auf das Irrenhaus, in dem er seine Zivi-Zeit verbrachte. Die Abrechnung mit der DDR geschieht augenfällig im Dunklen.

Sein Leben hat Grebe digitalisiert und alle Sticks im Jacken-Inneren gebunkert. Unbrauchbares kommt auf der Bühne in den Papier-Schredder. Ob er sein Jetzt-Leben auch so im Griff hat? Darüber schweigt des Sängers Höflichkeit.

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