Opernpremiere: Der Bariton ist eine Frau

Lucia Lucas singt ab Sonntag die vier Bösewichte in „Hoffmanns Erzählungen“. Vor zwei Jahren hat sie ihr Geschlecht gewechselt.

Opernpremiere: Der Bariton ist eine Frau
Foto: Anna Schwartz

Wuppertal. Es gibt immer diesen Moment, in dem ein Ruck durchs Publikum geht. Vorn auf der Bühne steht unverkennbar eine Frau. Doch wenn sie den Mund aufmacht, singt sie unverkennbar Bariton. Lucia Lucas ist Transgender-Sängerin — sie ist als Lucas Harbour in Kalifornien aufgewachsen, war vier Jahre am Opernhaus Karlsruhe engagiert und hat sich vor zwei Jahren einer Hormonbehandlung unterzogen. Am Sonntag singt sie in der Premiere von „Hoffmanns Erzählungen“ die vier Bösewichte Lindorf, Coppelius, Miracle und Dapertutto.

Frau Lucas, mögen Sie den Moment, wenn das Publikum verblüfft auf Ihre Stimme reagiert?

Lucia Lucas: Ja. Manchmal gibt es ein großes Rascheln, weil alle schnell noch mal in ihre Programmhefte gucken: Was steht denn da?

Warum haben Sie sich 2014 entschlossen, mit einer Hormonbehandlung zur Frau zu werden?

Lucas: Ich wusste schon mit sechs Jahren, dass ich kein Junge bin, aber ich bekam zu hören, dass ich kein Mädchen bin. Die Männerrolle habe ich fast 30 Jahre gespielt, dann wollte und konnte ich das nicht mehr.

In Opern wimmelt es von Geschlechterverwirrungen und Figuren in falschen Kleidern. Wie ist es Ihnen im realen Theaterbetrieb ergangen, als Sie zur Frau geworden sind?

Lucas: So etwas hat bisher kein anderer Opernsänger gemacht. Ich habe das natürlich lange mit meiner Frau Ariana besprochen, auch Freunde gefragt. Die meinten: „Wenn du das machst, ist deine Opernkarriere vorbei.“ Aber der damalige Karlsruher Intendanten Peter Spuhler war sehr freundlich und sagte: „Ok, wir werden sehen.“ Und ich habe ohne Probleme durchgespielt.

Mittlerweile sind Sie freischaffende Sängerin. Wie liberal reagieren die internationalen Bühnen?

Lucas: Meine Agentur hat natürlich mit mehreren Opernhäusern Kontakt aufgenommen. Aus mehr als einem kam die barsche Reaktion: „Soll das ein Scherz sein?“ Auf der anderen Seite läuft es richtig gut an. Für 2017/18 gibt es vielleicht etwas in Irland, in England und den USA. In London habe ich Engagements mit Pop und Jazz.

Wie ist es, wenn Sie in die USA reisen?

Lucas: Ich habe keine Lust auf die republikanischen Staaten, und ich fahre nicht in kleine Städte — das ist gefährlich. Aber ich war drei oder viermal für verschiedene Sachen zum Vorsingen in New York: Da ist es ganz einfach, man bekommt keinen Extrablick.

Wie kommt es, das sich Ihre Stimmbänder durch die Hormonbehandlung nicht verändert haben?

Lucas: Das wäre schön gewesen, aber das funktioniert nur in eine Richtung: Wenn eine Frau zum Mann wird. Aber wenn in der Pubertät das Testosteron auf die Stimmbänder gewirkt hat, gibt es keine Lösung, die Stimme wieder höher zu machen. Es gibt wohl Operationen, die die Stimmbänder verkürzen, aber die sind unsicher. Ich weiß nicht, ob man danach weitersingen könnte.

Sie haben in Darmstadt mal den Hohepriester in „Samson und Dalila“ von Camille Saint-Saëns als Oberpriesterin im Top gespielt. Wie oft setzen Regisseure Sie in Frauenkleidern ein?

Lucas: Ich spiele zu 90 Prozent im Männerkostüm. Aber es passiert jetzt häufiger, dass Regisseure mich besetzen und mit den Identitäten der Figuren spielen.

Vier Regisseure inszenieren „Hoffmanns Erzählungen“ in Wuppertal. Wie treten Sie in den vier Akten auf?

Lucas: Dreimal als Frau und einmal als Mann. Lindorf zum Beispiel war immer eine politische Figur. Heute kann man darin auch gut Hillary Clinton oder Angela Merkel sehen.

Liegen Ihnen diese vier Bösewichte?

Lucas: Bösewichte machen mir Spaß, denn ich bin im Leben mehr ein Antiheld — meine böse Energie spare ich für die Bühne auf. Seit 15 Jahren gehört das zu meinen Wunschpartien — es war eine meiner ersten Opern.

Wie sind Sie denn zum Gesangsstudium gekommen?

Lucas: Meine Eltern sind beide Ingenieure, es gab nicht viel Musik in der Familie. Ich habe zuerst Horn studiert — bis ich meine erste Oper gesehen habe. Mit großer Mühe habe ich bei meinem Professor erreicht, dass ich fünf Minuten vorsingen konnte — und dann durfte ich Gesang studieren.

Sie sind auf dem Sprung zur internationalen Karriere. Wie fühlen Sie sich in Wuppertal?

Lucas: Manche haben vorher gesagt: „Oh Gott, du gehst nach Wuppertal!“ Aber das ist ganz falsch. Es ist sehr, sehr schön. Die Menschen sind freundlich, ich fühle mich mit meiner Frau sehr wohl hier.

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