"Me and My Girl": Mitreißender Benimm-Kurs

„Me and My Girl“: Das TiC-Ensemble singt und swingt.

Cronenberg. „Liebenswert“ ist ein Attribut, das nicht bei jedem Künstler Freudensprünge verursacht. „Schwungvoll“ ist nicht unbedingt beliebter. Und „witzig“ ist auch nicht gerade das, was Pointen gerecht wird, die keine Schenkelklopfer sind. Kurz gesagt: Die Adjektive, mit denen Inszenierungen gerne bedacht werden, bleiben oftmals an der Oberfläche — wie so manches Musical, wenn es holzschnittartig Szene an Szene reiht.

Und doch trifft es im TiC-Theater den Nagel auf den Kopf: „Me and My Girl“ geht mit viel Liebe zum Detail, einer guten Prise Humor und voller Schwung über die Bühne.

Ralf Budde (Regie) und Stefan Hüfner (musikalische Leitung) haben die Liebes-, Lern- und Laternenpfahl-Geschichte, die 1937 in London uraufgeführt wurde und heute nur noch höchst selten gespielt wird, zur Chefsache erklärt — und ein musikalisches Kleinod ausgegraben.

Spätestens im zweiten Teil wippen die Füße im Publikum rhythmisch mit — da haben einige Zuschauerinnen, die bei der Premiere direkt neben dem Laufsteg in der Mitte sitzen, längst einen gehörigen Schreck bekommen und am eigenen Leib erfahren, was es heißt, mittendrin statt nur dabei zu sein.

Denn das Ensemble wirbelt so dynamisch über die kleine Bühne, dass einigen Gästen nicht nur der Wind um die Nase weht, sondern mitunter auch ein Bein bedrohlich nahekommt. Die aufgeweckten Augenzeuginnen nehmen es bei der Premiere mit Humor. Das passt zur Geschichte, die das TiC-Team mit einem Augenzwinkern erzählt und die auch mit einem eben solchen zu sehen ist.

Dramatisch gesehen erinnert „Me and My Girl“ an „My Fair Lady“ — unter umgekehrten Vorzeichen. Fast 20 Jahre vor „My Fair Lady“ rückten L. Arthur Rose und Douglas Furber in ihrem Musical eine zentrale Frage ins Rampenlicht: Wie bringt man denen, die sie nicht kennen, Manieren bei? In diesem Fall ist der Unwissende männlich: Bill Snibson (Benedict Schäffer) liebt nicht nur Sally (Jennifer Pahlke), sondern vor allem auch das Londoner Arbeiterviertel, in dem die beiden leben. Als klar wird, dass Bill der uneheliche Sohn und einzige Nachkomme des Earls of Hareford ist, gerät das Leben des jungen Paars aus den Fugen.

Schnelle Übergänge, Sprachwitz („Du wirst meine Earline sein“) und eine stimmige Besetzung halten das Publikum im Atelier Unterkirchen zwei Stunden lang in Atem. Am Ende triumphiert der Song „Die Liebe bewegt die Welt“. Dabei hat die Musik von Noel Gay schon vorher zwei klare Höhepunkte: Neben dem „Lambeth Walk“ geht vor allem „Leaning on a Lamp Post“ ins Ohr — Schäffer tanzt leichtfüßig mit einem Laternenpfahl, als sei er seine Geliebte.

Überhaupt scheint er sich in seiner Rolle wohlzufühlen. Ob fluchend, betrunken oder galant: Den gewieften Taschenspieler nimmt man ihm genauso ab wie den leidenden Liebenden. Nur wenn er in einer Szene ständig über den samtroten Königsmantel stolpert, herrscht Slapstick-Alarm — da wäre weniger mehr.

Die Gesangsstimmen, anfangs noch zögerlich-zurückhaltend, überzeugen im Laufe des Abends immer mehr. Darstellerisch läuft ohnehin (fast) alles rund. Während Carsten Müller als distinguierter Lands-Mann ein wenig zu steif bleibt, hat Jennifer Pahlke als bodenständige Sally schnell alle Zuschauer-Sympathien auf ihrer Seite.

Grandios gibt Ilka Schäfer einen „garstigen alten Drachen“, der Bill zum Gentleman erziehen will. Neben Kerstin Trant als gehobener Intrigantin, die mit purer Berechnung auf Freiersfüßen wandelt, fällt vor allem Christopher Geiss auf. Als aalglatter Adeliger, dem Bill vor die Nase gesetzt wird, schwankt er zwischen Trotz und Eifersucht.

So entführt das TIC-Musical in eine andere Zeit, ohne verstaubt zu sein. Im Gegenteil. Die Mischung aus Swing, Big-Band-Sound und 20er-Jahre-Charme reißt auch heute noch mit. Zumal auch die Ahnen steppen und Ritterrüstungen zu „königlichem Gehopse“ ansetzen.

Wer jetzt sagt, dass all das einfach liebenswert ist, meint es auf jeden Fall positiv. Freudensprünge wären also durchaus angebracht. Die Premierengäste zumindest hielt es beim Schlussapplaus nicht auf den Sitzen.

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