Klimmzüge für Shakespeare: Schräge Momente in der Oper

Holger Schultze zeigt „Was ihr wollt“. Das Schauspiel-Ensemble besteht die Feuertaufe im Opernhaus.

Wuppertal. Nach Liebe sehnen sie sich alle. Sie suchen sie mit Besessenheit, mit abgründiger Leidenschaft und blindwütiger Selbstverliebtheit: Orsino liebt Olivia, die aber verliebt sich in Viola, die jetzt Cesario ist, weil sie sich als Mann verkleidet hat. Sie (oder er) verliebt sich in Orsino. Malvolio hat auch ein Auge auf Olivia geworfen. Dann aber lockt diese Sebastian, der der Zwillingsbruder von Viola ist, ein Eheversprechen ab.

Macht "Was ihr wollt" aus diesem Stoff, mag sich William Shakespeare vor mehr als 400Jahren gedacht haben, der in seinen Komödien vor allem eins wollte: eine Geschichte erzählen. In der Inszenierung der Wuppertaler Bühnen setzt Holger Schultze auf Aktion und Überzeichnung - inklusive plakativ herausgestellter Erotik.

Erotische Fantasien wusste Shakespeare in Wortwitz und gewundenen Anspielungen geschickt zu verpacken. Da geht es auf der Bühne des Opernhauses unverblümter zu. Keinen Zweifel lässt die pitschnass aus dem Meer gerettete barbusige Viola (mit großer Spielfreude: Verena Fitz) an ihrer Weiblichkeit. Um deutlich zu machen, dass ihr der Geschlechtswandel schwerfällt, braucht es nicht die unmissverständliche Geste des Zeigefingers im Hosenschlitz.

Erotik dominiert alle Beziehungen: Zwar weist die Gräfin Olivia (Julia Wolff) den nach ihr schmachtenden Herzog Orsino (Thomas Braus) kühl ab. Der spürt auch eine homoerotische Anziehung zu seinem neuen Pagen Cesario. Cesario/Viola lässt sich von Olivia küssen und findet das zumindest nicht übel. Und Kapitän Antonio (Paul Weismann) macht keinen Hehl aus seiner Liebe zu Sebastian (Henning Strübbe), die über Freundschaft deutlich hinausgeht.

Dass alle Beziehungen instabil sind, die Paarfindung verwinkelte Schachzüge erfordert, zeigt auch die Bühne mit schrägen Ebenen und wackeliger Wippe (Ausstattung: Marcel Keller). Trotz ihrer Funktionalität könnte die Bühne aber durchaus mehr fürs Auge bieten.

Berechtigten Zwischenapplaus gibt es für Andreas Möckel als Malvolio, der nach Höherem strebt und sich vom gewieften Kammermädchen Maria (Britta Firmer spielt sie mit herrlicher Schlampigkeit) in seiner Verliebtheit zum Gespött macht. Stark überzeichnen die Trunkenbolde Sir Toby (Andreas Ramstein) und Sir Andrew (Achim Conrad) ihre Rollen, denen soviel an spöttischem Witz und derber Komik innewohnt.

Das geht Hans Richter als Narr Feste gelassener und daher überzeugend an. Immer bereit für ein Liedchen - Jan Kazdas E-Gitarren-Musik fügt sich unaufdringlich ein - oder dafür, für eine gute Posse mit klingender Münze entlohnt zu werden, ist er mit seinen verworren-treffenden Sprüchen der wirklich Weise: "Besser ein weiser Tor als ein törichter Weiser." Bis die Paare sich finden, Olivia ihren Sebastian und der Herzog als akzeptable Alternative die Viola nimmt, bedarf es noch etlicher Winkel- und Schachzüge.

Insgesamt ist es eine sehenswerte und mit freundlichem Applaus bedachte Produktion, die durch mehr Intensität und Gelassenheit noch gewinnen kann. Jedenfalls hat das Opernhaus seine Feuertaufe als Spielstätte für das Sprechtheater bestanden.

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