Interview „Kamioka ist ein Vorbild“

Opernregisseur Ansgar Haag über den Überraschungsbrief aus Wuppertal, das Adventskalender- Prinzip auf der Bühne und Eugen Onegin.

Interview: „Kamioka ist ein Vorbild“
Foto: Andreas Fischer

Wuppertal. Ansgar Haag, anerkannter Stadttheater-Intendant erst in Ulm und seit 2005 in Meiningen, inszeniert für die Wuppertaler Bühnen Peter Tschaikowskys Oper „Eugen Onegin“. Premiere ist am Sonntag um 16 Uhr.

Herr Haag, wie schaffen Sie es neben ihrer Intendanz im Staatstheater Meiningen noch in anderen Städten zu inszenieren?

Ansgar Haag: Wenn man als Intendant ein- bis zweimal im Jahr woanders inszeniert, macht man indirekt Werbung fürs eigene Haus — wir leben ja vom Tourismus. Und man lernt fabelhafte freie Sänger kennen, die nicht so ohne weiteres zum Vorsingen in den Osten kommen.

Aber es kommt nicht von ungefähr, dass Toshiyuki Kamioka Sie als Regisseur nach Wuppertal geholt hat?

Haag: Als er Generalmusikdirektor in Wiesbaden war, haben wir zusammen Tschaikowskys „Pique Dame“ auf russisch gemacht, da ist er für mich ein großes Vorbild gewesen und hat mir sehr geholfen. Es war eine Riesenproduktion und ein großer Erfolg, ich habe danach viele Angebote bekommen.

Haben Sie denn Kontakt gehalten?

Haag: Nein, wir haben uns völlig aus den Augen verloren. Umso überraschter und erfreuter war ich, als die Anfrage aus Wuppertal kam. Nach dem, was bei uns in der Presse stand, habe ich ja gedacht, bei euch gibt es gar kein Theater mehr. Aber ganz im Gegenteil: Es arbeiten zwar nicht mehr allzu viele Leute in diesem gewaltigen Haus, aber die sind toll: der Chor und die unglaublich einfallsreichen Menschen in den Werkstätten etwa.

Gesungen wird russisch. Geben Sie den Zuschauern kleine Verständnishilfen?

Haag: Es gibt wie sonst auch deutsche Obertitel. Außerdem versuche ich, ein bisschen behäbiger und pantomimenhafter zu inszenieren. Vor allem aber funktioniert „Eugen Onegin“ als Geschichte - das ist nicht wie bei anderen Opern aus der Zeit, wo nichts passiert und die Sänger nur dastehen und singen.

Wie wollen Sie die Geschichte von russischen Landbesitzern vom Anfang des 19. Jahrhunderts und der unglücklichen Liebe von Tatjana und Eugin Onegin den Menschen heute nahebringen?

Haag: Die Quintessenz ist: Geld macht auch nicht glücklich - das ist banal, aber Tschaikowsky zeigt schön den Kontrast zwischen den sehr Reichen und den sehr Armen, was nur in der russischen Revolution enden kann. Auf der einen Seite herrscht schieres Elend, auf der einen Seite eine Dekadenz des Überflusses — nicht nur dem schicken Dandy Onegin ist es ewig fad und langweilig. Das erinnert mich an die aktuelle Situation mit den Flüchtlingen.

Inwiefern?

Haag: Die einen empfangen sie freundlich, die anderen wollen sie möglichst einschränken — aber eigentlich will keiner etwas mit ihnen zu tun haben. Wir leben in einer Wohlstandsblase und ignorieren die Armut der Anderen. Wobei mir sehr wohl bewusst ist, dass es aus meiner intellektuellen Position leicht fällt, über Integration zu reden.

Tschaikowsky hat üppige Bühnenbilder vorgesehen. Wieviel können Sie davon verwirklichen?

Haag: Diese Oper hat sieben völlig verschiedene Bilder — drei spielen in teilweise luxuriös ausgestatteten Innenräumen, vier draußen, inklusive einer Duellszene auf freiem Feld. Wenn man das so umsetzen wollte, wäre das in einer Weise teuer, die sich weder Wuppertal noch Düsseldorf leisten können. Deswegen wollte ich einen neutralen Grundraum haben — schon damit man mir nicht vorwerfen kann, die Sänger klängen nicht, wenn das Orchester im zweiten Teil laut und dramatisch wird. Daraus wird nach dem Adventskalender-Prinzip immer wieder etwas ausgeklappt und eine neue Szenerie entwickelt.

Aber Tschaikowsky hat doch extra Umbaumusiken geschrieben.

Haag: Sicher. Aber die sind gerade lang genug, um ein gemaltes Bühnenbild auszuwechseln, wie es damals üblich war. Für einen richtigen dreidimensionalen Umbau sind sie zu kurz. Deshalb inszeniere ich durch: Der Vorhang geht nicht runter und wieder hoch, sondern die Darsteller wechseln den Standort, neue Utensilien werden spielerisch integriert. Das macht den Abend nebenbei unterhaltsam und kompakt.

Aber Sie krempeln das Stück nicht um?

Haag: Ich habe es am liebsten, wenn die Zuschauer sagen: „Joo, das ist so, wie es sein muss.“ Wenn man so sehr die Regieabsicht merkt, verstimmt mich das eher.

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