Eine wunderbar respektlose Odyssee

Homers antikes Heldenepos wird in Wuppertal als Parodie in die Gegenwart geholt.

Wuppertal. Just in die Zeit, in der Schauspielchef Christian von Treskow mit zahlreichen Uraufführungen signalisiert, dass auch die Wuppertaler Bühnen Neues zu bieten haben, fällt die Hiobsbotschaft von der Theaterschließung. Unbeirrt davon geht von Treskow seinen Weg und holt mit "Die Odyssee" von Marc Pommerening das antike Heldenepos in die Gegenwart.

Das ist mutig und riskant zugleich. Mutig, weil in Zeiten, in denen selbst Schulbuchverlage Light-Versionen von Klassikern anbieten, eine gegenwartsnahe und familientaugliche Umsetzung auf der Bühne Zuschauer lockt und positive Resonanz verspricht. Riskant, weil das Lavieren am Abgrund zum Klamauk viel Fingerspitzengefühl erfordert. Wunderbar respektlos gehen Autor und Regisseur mit der Homerschen Odyssee um. Wer sie gelesen hat, ist von Parodie und Ironie begeistert. Alle, die sie nicht kennen, erwartet ein bunter, mit allen Theaterkniffen aufgepeppter Comic-Bilderbogen.

Die Irrfahrten des Helden gewinnen als "Spiel im Spiel" irre an Fahrt. Plakativ bildet die Bühne (Jürgen Lier) das Geschehen ab, etwa mit dem trojanischen Sperrholzpferd und gesägtem Feuer, über dem der Zyklop Polyphem Menschenbeine brät. Pommerening, der auch als Regisseur arbeitet, weiß, wie man bühnenwirksam schreibt. Und so stellt er den spät pubertierenden Odysseus-Sohn Telemach in den Mittelpunkt. Daniel Breitfelder gibt ihn anfangs recht überzeichnet als aggressives, das Schaukelpferd zertrümmerndes hyperaktives Kind, das mit Dinosaurier-Figürchen Krieg spielt.

Die Loslösung von der alleinerziehenden Mutter Penelope ("Nenn mich nicht Mama, nenn mich Penny") und seine Odyssee bei der Suche nach dem Vater ist Telemachs Aufbruch in die Erwachsenenwelt. Wie alle Figuren ist er auf dem Weg zum eigenen Ich. Sophie Basse als Penelope macht sich derweil besonders hässlich und hält sich saufend und sabbernd die Freier vom Hals, die als aufgeputzte Gockel, aufgeblasene Frösche, starke Stiere und mächtige Löwen ihre Potenz beweisen und den Thron haben wollen (Kostüme: Kristina Böcher).

Die skurrilen Halbwelt-Typen (Extrachor der Wuppertaler Bühnen) stattet der Autor mit Sprechchor-Texten in feierlich deklamierter Hochsprache aus, die immerhin noch die Versform des Hexameters durchschimmern lässt. Und als Jugendstück im Abenteuer-Format darf der Schmacht-Blues nicht fehlen, wenn Telemach sich in die schöne Phäaken-Prinzessin Nausikaa (sehr präsent: Maresa Lühle) verliebt (Musik: Sebastian Weber).

Den Ruhepol bildet Odysseus (Thomas Braus), der kein strahlender Held ist, sondern neben sich steht, sich selbst von außen betrachtet und mit leiser Stimme ins Mikro spricht. "Kunst, Kunst, Kunst", skandieren alle im Schlussbild - wie zur Bekräftigung, dass es hier durchaus künstlich und künstlerisch verfremdet zugeht.

Ensemble: 4 von 5 Punkten

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