Eine Regisseurin und die Rachegöttin

Sybille Fabian möchte dafür sorgen, dass „Der Besuch der alten Dame“ die Gäste in Atem hält.

Wuppertal/Remscheid. Eine alte Dame allein macht aus einer Kleinstadt-Episode noch kein Drama. Deshalb sind es vor allem die Menschen um sie herum, die Rückschlüsse auf fatale Verhaltensmuster zulassen. Für Sybille Fabian ist es eine zentrale Erkenntnis: „Jede Figur ist eine Spiegelung ihres Lebens und Leidens“, erklärt die Regisseurin und meint Leben und Leid der Hauptperson, ohne die „Der Besuch der alten Dame“ nicht das wäre, was er ist: Die Wuppertaler Bühnen arbeiten an einem Rachefeldzug — und lenken den Blick auf Claire Zachanassian (An Kuohn), die nach Güllen zurückkehrt, um sich für erlittenes Elend gnadenlos zu rächen.

Seit dieser Woche proben Fabian und ihr Team im Teo Otto Theater: In Remscheid bringen die Wuppertaler Bühnen Friedrich Dürrenmatts tragische Komödie am 6. April heraus — im Barmer Opernhaus wird die Inszenierung erstmals am 17. Mai zu sehen sein. Die Geschichte einer Frau, die ihre Heimat — entehrt und schwanger — verlassen musste und nun als reiche Witwe zurückkommt, um ein unmoralisches Angebot zu formulieren, könnte überall spielen. Darin sind sich die Regisseurin und der Dramaturg Oliver Held einig. „Es ist eine Versuchsanordnung“, sagt Held. Claire bietet den Bürgern von Güllen viel Geld für einen Mord: Ihr einstiger Haupt-Peiniger, Alfred Ill, soll sterben.

„Man könnte die Geschichte tausendmal (anders) erzählen“, erklärt Fabian. „Mir geht es um einen Menschen, der aus der Krise kommt und Überlebensstrategien entwickelt.“ Am Ende geht es allerdings um weit mehr als „nur“ um eine Dame. „Es gibt zwei Wellen: Die Gesellschaft, die versucht, ihren Wohlstand zu erhalten, und den Ausgestoßenen, der wie ein Tier gejagt wird. Er läuft seinen Mördern sozusagen in die Arme.“ Harald Schwaiger verkörpert Alfred Ill: Der Gast-Künstler ist erstmals für die Wuppertaler Bühnen im Einsatz. An Kuohn hingegen dürfte dem Publikum bestens vertraut sein: Die Ensemble-Schauspielerin übernimmt die Titelrolle. Auch Fabian ist keine Unbekannte: Ihre bisherigen Wuppertaler Arbeiten („Der Prozess“, „Lulu“ und „Liliom“) ermöglichten neue, ungewöhnliche Sichtweisen — was die Zuschauer durchaus polarisierte.

Auch diesmal ist eine bildgewaltige, expressive Spielart zu erwarten. „Ich habe mich lange mit der Frage beschäftigt: Wie denkt der Mensch in der Not?“ Inzwischen steht für Fabian fest: „Die Menschen werden durch das Geld geblendet. Sie sehen nur noch sich — und immer weniger, wie es Güllen wirklich geht.“ Dabei ist eines eigentlich klar: Güllen ist pleite.

„Der Krieg von heute heißt Geld“, meint die Regisseurin, die die großen Themen des Theaters — Schuld, Sühne und Kapitalismuskritik — mit den Waffen des Theaters aufgreift. „Das Stück spiegelt den momentanen Zustand von Europa“, sagt Fabian. „In jeder Stadt wird gespart, aber speziell in Wuppertal ist der Brennpunkt für diese Geschichte zu hundert Prozent gegeben.“

Auch für Oliver Held „hat es natürlich einen Grund, weshalb wir das Stück in Wuppertal spielen“. Dürrenmatt schrieb die Parabel in den 1950er Jahren — „in einer Zeit, in der Theater eine ganze Stadt darstellen konnten“. Nun, in Zeiten des Spardrucks und „Rumpf-Ensembles“, sei nicht zuletzt interessant, wie man die Geschichte mit weniger großem Personal erzähle. Dabei sei die Titelfigur ein „Mahnmal“, wie Fabian sagt. „Sie hat als Frau einen langen Leidensweg bewältigt und männliche Gewaltmuster erlebt. Jetzt kehrt sie als männliche Rachegöttin zurück.“

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