Die Architektur der Nachkriegsmoderne

In den Blick genommen von neun Künstlern — eine Ausstellung in der Galerie pass:projects.

Die Architektur der Nachkriegsmoderne
Foto: Gerhard Bartsch

Wuppertal. Manchmal genügt ein Blick, um in einem Alltagsding das Kunstwerk zu entdecken. In einer Büroküche sah Matias Bechtold eine Kaffeemaschine stehen. „Da dachte ich gleich: Das ist ein Haus.“ Der Berliner Künstler hatte Glück. Er durfte den Automaten — so gut wie neu, aber defekt — mitnehmen. Die Entkernung und häusliche Einrichtung des metallgrauen Kastens konnte beginnen.

Zurzeit sorgt Bechtolds „KM 1“ in der Wuppertaler Galerie „pass:projects“ für Aufsehen, als ein Schmuckstück der Ausstellung Heimatplan. Neun Künstler werfen dort einen Blick auf die Architektur der Nachkriegsmoderne, die heute gern als spröde, ja unmenschlich abgetan wird. Mit Humor und Science Fiction-Begeisterung halten Ausstellungsmacherin Julia Zinnbauer und ihre Kollegen dagegen.

Bei der Vernissage — Galerist Jürgen Grölle begrüßte mehr als 100 Besucher — scharte man sich um das Hausmodell der Marke Bechtold. Durch Panoramafenster aus Plastik ist das Innere zu sehen: Im Obergeschoss beleuchten LED-Lampen winzige Anzeigetafeln, Monitore und Tastaturen. Wozu die Technik? Soll das ein Eisenbahnstellwerk sein? Eine Abhörzentrale? Das bleibt der Phantasie des Betrachters überlassen.

Noch so ein Publikumsmagnet ist das von Julia Zinnbauer designte Kleid „Die autogerechte Stadt“. Der Titel allein lässt einen schmunzeln. Die schwarzen Streifen aus Tüll und Taft erinnern jedoch tatsächlich an ein Gewirr frisch geteerter Autostraßen.

In die Vollen geht Zinnbauer mit dem Kurzfilm „Dimmi Dove Vanno“, der im Keller der Galerie gezeigt wird. Vor futuristischen Kulissen zwischen Düsseldorf und Berlin agieren Schauspieler in ihren Kostümen. Die Künstlerin selbst präsentiert sich stilecht im silbernen Retrodress. James-Bond-Ausstatter Ken Adam hätte seine Freude dran gehabt.

Danach läuft eine Film-Musik-Collage des deutsch-irischen Teams Chris Dreier und Gary Farrelly, die sich ein Wuppertaler Wahrzeichen der Hochmoderne vorgeknöpft haben: den Sparkassenturm, der seit kurzem unter Denkmalschutz steht.

Mit ihren Fotos — natürlich analog — arbeitet die gebürtige Wuppertalerin Chris Dreier die Parallelen zwischen Nachkriegsbauten in West und Ost heraus. Ob der Rathausplatz von Marl oder der Berliner Alexanderplatz, die Formen und Strukturen unterscheiden sich kaum.

Matias Bechtold denkt derweil an die neue Kaffeemaschine, die seine „KM 1“ ersetzt hat: „Auf die wart’ ich noch!“

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