David Garrett und das Ende der Partyzeit

Der Star-Geiger machte beste Werbung für die klassische Musik – eine schöne Gelegenheit also, um Vorurteile zu überprüfen.

Wuppertal. David Garrett kann die Vorurteile vermutlich nicht mehr hören. Es soll Fans geben, denen die Optik genauso wichtig ist wie das Talent. Und die beherzt beobachten, wie vorsichtig der Geiger ein Haar aus seinem Gesicht streift und nicht allein, wie taktvoll er die Saiten streicht - sagen Skeptiker, die mit dem Crossover-Begriff wenig anfangen können.

Doch was sagt das Publikum? "Ich bin zum ersten Mal in Wuppertal - nur wegen David." Maria Dahlmann (23) ist extra aus Siegburg angereist, am Abend zuvor war sie bereits in der Philharmonie in Essen - der zweiten Station der "Recital 2010"-Tour. "Aber die Halle hier ist viel schöner!" So strömen sie aus allen Richtungen - insgesamt 1644 Zuschauer haben sich Karten für das längst restlos ausverkaufte Gastspiel in der Stadthalle gesichert.

Und was sagt Garrett selbst? Er nimmt sein Publikum, wie es ist: Der 29-Jährige duzt seine (vornehmlich jungen) Gäste, plaudert mit seinem Piano-Partner Julien Quentin ("Ist das Hotelbett diesmal wieder so hart?") und kündigt Johannes Brahms’ Sonate für Violine und Klavier Nr.3 d-Moll op.108 ganz unpretiös an. "Ich habe vier Jahre lang in New York studiert. Bei meinem ersten öffentlichen Auftritt nach dem Studium habe ich die Brahms-Sonate gespielt. Schon deshalb bedeutet sie mir viel."

Der 29-Jährige wäre kein cooler Charmeur, wenn er nicht noch einen entscheidenden Satz nachschieben würde: "Ich verbinde mit dem Stück den Start ins Berufsleben - aber auch das Ende der Studentenpartys." Garrett lächelt, auch seine Zuhörer schmunzeln. Doch der Eindruck täuscht: Der Star-Geiger, der locker-lässig auf einem Barhocker sitzt, ist schnell wieder hochkonzentriert bei der Sache. Selbst modernste Technik kann ihn nicht aus dem Takt bringen: Als ein Handy im Saal klingelt und sich der Telefon-Ton so harmonisch in Garretts gerade endenden Geigenklänge einfügt, als gehöre er zum musikalischen Programm, schmunzelt der Profi - zusammen mit dem Publikum. Das versteht, was die Botschaft des Abends ist: Der Virtuose kann weit mehr, als mit populären Crossover-Experimenten - mit Rock-Pop-Klassik-Mischungen - auf sich aufmerksam zu machen.

Im großen Saal gibt es an diesem Abend Kammermusik pur: Mit Jeans, schwarzem Sakko und schwerem, lose gebundenem Schuhwerk sitzt der Deutsch-Amerikaner da, als spiele er in einer urigen Jazz-Kneipe. Wäre da nicht das Blitzlicht, das Kamera-bewaffnete Fans (trotz eines nach der Pause wiederholt ausgesprochenen Verbots) immer wieder aufflackern lassen, könnte man wirklich glauben, dass es allein um die Musik geht und der schöne Zusatz "der attraktivste Geiger der Welt" erst noch erfunden werden muss.

Doch der Geigen-Visionär lässt sich von solch oberflächlichen Vorurteilen nicht bremsen. Rein äußerlich ist er die Ruhe selbst. Der Musiker mit der leger nach hinten gebundenen Frisur, der speziell junge Leute für klassische Musik begeistern möchte, erfüllt seine Mission mit Bravour. Vier Zugaben fordert das sichtlich zufriedene Publikum - und bekommt sie auch. Garrett entscheidet sich für Stücke von Kreisler, Heifetz, Paganini und Foster - der Meister spielt sie fingerfertig, teilweise mit über die Saiten tanzendem Bogen und immer leidenschaftlich.

Wer wirklich nur zugehört und es deshalb nicht gesehen hat, dem sei versichert: Der gebürtige Aachener streicht tatsächlich nicht nur die Saiten, sondern sich selbst auch immer wieder einzelne Haare aus dem Gesicht. Und selbst wenn er es vielleicht nicht mehr lesen kann: Trotz der vier Zugaben hätte das Publikum vermutlich noch viel mehr hören (und sehen) wollen.

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