„Das Individuum bleibt unsichtbar“

Ilija Trojanow las in der City-Kirche aus seinem and „Nach der Flucht“. Darin erzählt er Geschichten aus der Sicht von Geflüchteten. Das ernste Thema garniert er mit Humor.

„Das Individuum bleibt unsichtbar“
Foto: Stefan Fries

Wuppertal. Vor Ilija Trojanow haben schon einige deutsche Autoren über Flüchtlinge geschrieben. Anders als seine Kollegen blickt Trojanow aber nicht von außen auf das heiß diskutierte Thema. Er war sechs Jahre alt, als seine Eltern 1971 aus dem kommunistischen Bulgarien flohen und in Deutschland politisches Asyl bekamen. Sein erster Roman von 1996 verarbeitete die Erfahrungen seiner Familie. Mit dem Band „Nach der Flucht“ kehrt Trojanow zum Thema zurück und versammelt neben der persönlichen viele andere Flüchtlings-Geschichten. Eingeladen vom Katholischen Bildungswerk, las er aus seinem aktuellen Band in der Elberfelder City-Kirche vor.

Vorab erklärte Trojanow, was ihn zum Schreiben von „Nach der Flucht“ motiviert habe: die allgemein übliche Sicht auf Flüchtlinge. „Die Masse wird gesehen, das Individuum bleibt unsichtbar“, stellte er fest. Da zeigte sich der Schriftsteller „mit der deutlichen politischen Haltung“, als den ihn Dr. Katja Schettler vom Katholischen Bildungswerk vorstellte. Vielleicht lag es an Trojanows Meinungsfreudigkeit, vielleicht am Dauerbrenner-Thema Flüchtlinge — in jedem Fall war der Kirchenraum mit mehr als 100 Zuhörern voll besetzt.

„Nach der Flucht“ besteht aus kleinen Texten, die dem ernsten Thema oft einen leisen Humor beimengen. Trojanows Sympathie für Geflüchtete zeigt sich daran, dass er einfühlsam aus ihrer Perspektive erzählt. Was ist selbst erlebt, was von anderen? Der Erzähler macht da keinen Unterschied. Mit seiner geübten, sonoren Stimme konnte der Autor die Zuhörer für sich gewinnen und die vorgetragenen Erzählskizzen und Szenen ernteten viel Applaus.

Bei dieser Lesung erlebte man aber nicht nur den eloquenten Literaten. Auf der City-Kirchen-Bühne fühlte sich Trojanow sichtlich wohl und zeigte echte Entertainer-Qualitäten. Es fing an mit der ins Mikro geflüsterten Begrüßung („Hallo! Funktioniert das?“), die für kräftiges Gelächter sorgte. Danach gelang es dem Autor, Moderator Hubert Spiegel, Kulturjournalist und Kenner seiner Bücher, zu überraschen. Er habe nicht weit weg von Wuppertal Deutsch gelernt, sagte Trojanow fast beiläufig. „In Essen.“ - „Ich auch“, erwiderte der gebürtige Essener Spiegel erstaunt. Dabei ist Trojanows Schulbesuch in Essen nur ein Detail einer Biografie, zu der auch eine Jugend in Kenia und spätere Stationen wie Paris, Indien und Südafrika gehören.

Diese gelebte Internationalität mag der Grund sein, warum Trojanow mit dem Wort „Heimat“ nur sehr vorsichtig umgeht. Heimat könne keine allgemeine Kategorie sein, sondern nur „etwas unendlich Persönliches und Intimes“, meinte er - und zeigte noch einmal klare Kante. „Ich finde, jeder, der den Begriff Heimat politisch benutzt, ist gefährlich.“

Auch für solche Statements bekam Trojanow Applaus. Allerdings nicht von allen. So erhob sich ein Besucher während der Lesung und verließ demonstrativ den Raum.

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