„Liberazione“ im Wuppertaler Opernhaus Clemens Flick „Was man aber braucht, ist Kreativität, und Mut zu Improvisation“

Clemens Flick über die letzte Aufführung von „Liberazione“ im Opernhaus und seine Faszination für Barockmusik.

„Liberazione“ im Wuppertaler Opernhaus: Clemens Flick „Was man aber braucht, ist Kreativität, und Mut zu Improvisation“
Foto: Claudia Scheer van Erp

Wuppertal. Am 14. Juli kommt um 19.30 Uhr Francesca Caccinis Barockoper „Liberazione“ zum letzten Mal auf die Bühne des Opernhauses. Die musikalische Verantwortung liegt in den Händen von Clemens Flick, ein Spezialist auf dem Gebiet der Musik dieser Zeit. Der WZ gibt er Auskunft über die Barockmusik im Allgemeinen und die musikalische Umsetzung der „Liberazione“-Vorlagen im Besonderen.

„Liberazione“ im Wuppertaler Opernhaus: Clemens Flick „Was man aber braucht, ist Kreativität, und Mut zu Improvisation“
Foto: Claudia Heinstein

Wie kommt es zu Ihrer Liebe für die Barockmusik?

Clemens Flick: An Barockmusik im Allgemeinen reizt mich besonders die gestalterische und improvisatorische Freiheit im Umgang mit dem Material, und die Möglichkeit, als musikalischer Leiter selbst Teil des Ensembles zu sein. Prägend war für mich die Begegnung mit René Jacobs (Anm.: berühmter belgischer Barockspezialist), dessen fantasievolle Monteverdi-Produktionen an der Berliner Staatsoper ich schon in meiner Studentenzeit bewundert habe. Jetzt, als sein langjähriger Assistent, fasziniert mich noch immer sein feines Gespür für alles Dramatische und sein unermüdliches Suchen, ohne sich je untreu zu sein.

Gibt es Komponisten aus dieser Zeit, die Sie besonders schätzen?

Flick: Selbstverständlich liebe ich Claudio Monteverdi, der mit seinem „Orfeo“ Maßstäbe in der frühen Stunde der Oper gesetzt hat. Auch Francesco Cavallis Opern mag ich sehr, ebenfalls Agostino Steffani, der wie ein Schmelztiegel Stile zusammenführt und miteinander verbindet, teils noch fast in der Renaissance verhaftet, dann plötzlich Händel vorausahnend, dabei hochvirtuos mit Elementen der seria und buffa jonglierend. Alessandro Scarlatti mag ich, und Händel, Purcell sowieso. Die Epoche ist uferlos, und es gibt so viel gute Musik.

Was halten Sie von einer kompromisslosen historischen Aufführungspraxis?

Flick: Kompromisslosigkeit halte ich generell für keinen guten Ansatz, und zum Glück hat sich der Begriff der historischen Aufführungspraxis im Laufe der letzten Jahrzehnte hin zur historisch informierten Aufführungspraxis gewandelt. Was würde denn ein kompromissloser Ansatz im Fall von „Liberazione“ bedeuten? Erhalten ist davon ein repräsentativer Druck. Darin enthalten sind alle wesentlichen Elemente der Komposition: eine instrumentale Sinfonia, Gesangsstimmen, der Generalbass, einige wesentliche Ritornelle, das Libretto. Zur Instrumentation gibt es jedoch nur einige sporadische Angaben. Wir wissen auch nicht, welche improvisierten oder kurzfristig skizzierten Zwischenmusiken die aufwendigen Szenenwechsel illustriert haben mögen, geschweige denn, was genau über den Generalbass improvisiert wurde. Mit Purismus kommt man hier also nicht weit. Was man aber braucht, ist Kreativität, und Mut zu Improvisation und Ergänzung, um diese Musik heute wie damals zum Leben zu erwecken.

Zur „Liberazione“-Produktion: Wie ist die Wuppertaler Oper auf Sie neugierig geworden?

Flick: Ich habe Generalmusikdirektorin Julia Jones am Theater Freiburg kennengelernt, wo ich ihr bei einer Produktion von Händels „Rinaldo“ assistiert habe. Ein wenig später sah sie meine Fassung von Purcells „King Arthur“ am gleichen Haus. Nun haben sie und Intendant Berthold Schneider mich nach Wuppertal eingeladen.

Warum werden vier Tasteninstrumente eingesetzt?

Flick: Sie gehören mit zur Continuogruppe. Je vielfältiger sie besetzt ist, desto mehr Farben stehen für die Instrumentierung des Generalbasses zur Verfügung. Etwa dient das Regal (Anm: tragbare Kleinorgel) mit seinen schnarrenden Zungen zur Illustration der Unterwelt, wenn Alcina mit den von ihr herbeigerufenen Monstern erscheint.

Barockspezialisten und eine kleine Streichergruppe des Sinfonieorchesters Wuppertal spielen zusammen. Wäre ein reines Barockorchester nicht konsequenter gewesen?

Flick: Das stand in diesem Fall nicht zur Diskussion. Die Musiker des Orchesters waren sehr aufgeschlossen und haben sich wunderbar in diesen Stil eingefühlt. Auch auf modernen Instrumenten kann man einem barocken Klangideal sehr nahe kommen. Nebenbei sei erwähnt, dass auch der Chor der Wuppertaler Bühnen sich in seiner Singweise perfekt auf die Stilistik dieser Musik eingestellt hat.

Wie verständigen Sie sich mit den Sängern, die sie nicht direkt im Blickfeld haben?

Flick: Das ist in der besonderen Situation unseres Bühnenbildes nicht immer einfach: Oft haben wir keinen direkten Sichtkontakt, und Alcina singt ihre Partie fast gänzlich aus dem Off. Doch haben die Sänger und ich das Stück ja gemeinsam erarbeitet und bis ins kleinste Detail über Affekt und Tempogestaltung gesprochen. Auch wenn wir uns nicht sehen, atmen wir zusammen und vertrauen uns gegenseitig. Nicht zuletzt hilft das hervorragende akustische Monitoring von Tonmeister Thomas Dickmeis, dass wir uns gegenseitig gut hören.

Darf Wuppertal Sie in Zukunft mit anderen Produktionen oder Konzerten begrüßen?

Flick: Konkretes steht noch nicht fest. Die gute Zusammenarbeit und die freundliche Atmosphäre am Haus habe ich jedoch sehr genossen und komme gerne wieder.

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