Kleestraße: Ein Knall, die Angst danach und echte Nachbarschaft

Die Nachbarn des zerstörten Hauses schildern, wie sie das Unglück in Heckinghausen am gestrigen Donnerstagmorgen erlebten.

Heckinhausen. „Hoffentlich ist Karl nicht im Haus“, war der erste Gedanken von Hanne Dimpfl. Sekunden zuvor hatte die 55-Jährige einen Knall gehört, eine riesige Stichflamme durch das Fenster ihres Wohnzimmers gesehen. Sofort rennt sie in den Garten, sieht aber nur noch die Überreste des Hauses ihres Nachbarn Karl N. (Name von der Redaktion geändert). Danach herrscht Sprach- und Fassungslosigkeit.

Auch Andrea Linke wird durch den Knall geweckt. Sie rennt zur Straßenseite aus dem Haus. Durch den dichten Rauch, der die ganze Straße verdunkelt, sieht sie den direkten Nachbarn von Karl N. in den Trümmern seines zerstörten Hauses stehen. Er schreit einen Namen. „Wahrscheinlich den von seiner Frau“, versucht Andrea Linke sich zu erinnern. Sofort verständigt sie die Polizei, holt ihren zehn Jahre alten Sohn Hendrik vom Fenster weg.

Danach geht alles sehr schnell: Als die Rettungskräfte eintreffen, ist noch immer ein Zischen zu hören, berichtet Bilal Elousrouti. Alle Anwohner müssen sofort ihre Häuser verlassen, ordnet die Feuerwehr an. Andrea Linke weckt ihren zweiten Sohn Jannek.

Hanne Dimpfl ist zu dieser Zeit schon im Sicherheitsbereich. Von dort muss sie zusehen, wie die Rettungskräfte Karl N. aus den Trümmern ziehen. Auf einem Sessel transportieren sie den Schwerverletzten zum Krankenwagen. Obwohl er direkt zugedeckt wird, sieht Dimpfl, dass er seinen Arm bewegt. „Da wussten wir: Karl lebt!“ Nach Augenzeugenberichten wird der 70-Jährige „sehr lange“ vor Ort behandelt, bevor er mit einem Rettungshubschrauber in die Bochumer Spezialklinik Bergmannsheil geflogen wird.

Währenddessen müssen die Fahrgäste der Linie 646 an der Haltestelle Kleestraße, nur wenige Meter vor dem eingerichteten Sicherheitsbereich aussteigen. Spontan entscheidet der Fahrer, den evakuierten Anwohnern einen Sitzplatz im warmen Bus anzubieten. Andrea Linke nimmt das Angebot mit ihren zwei Söhnen gerne an. „Obwohl es draußen warm war, war uns allen irgendwie kalt.“

Ihre Nachbarn, die außerhalb der Sicherheitszone wohnen, erkannten die Notsituation der Evakuierten und halfen sofort: „Eine Nachbarin brachte uns heißen Kaffee in den Bus. Kurze Zeit später kam eine ältere Dame und hatte etwas zu essen für meine Söhne dabei — sie hatten ja noch nicht gefrühstückt“, sagt Andrea Linke. „Die Nachbarn hier sind einfach toll.“

Zwischen zwei und vier Stunden warteten die Evakuierten, bis sie wieder in ihre Häuser durften. Hanne Dimpfl begutachtete danach zunächst die Schäden durch die Explosion. Die Garagenwand zum völlig verwüsteten Nachbargrundstück ist eingedrückt, hat der Druckwelle aber standgehalten. „Die Wand hat uns wahrscheinlich das Leben gerettet.“

Andrea Linke hatte zunächst keine Zeit, den Schock zu verdauen. „Ich wollte für meine Söhne möglichst schnell Alltag herstellen, sie zur Schule bringen.“ Zu dieser Zeit stand der Sessel, in dem Karl N. transportiert wurde, direkt vor ihrer Haustür. Wie tief der Schock bei dem siebenjährigen Jannek sitzt, zeigte sich auf dem Weg aus dem Haus, als er fragte: „Mama, kannst du den Sessel da wegräumen? Ich will da nicht vorbei.“

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