Kinder unter Druck: „Eltern sollten gelassener sein“

Zwei Wuppertaler Experten erläutern im WZ-Gespräch, warum Eltern die Förderung ihrer Kinder nicht übertreiben sollten.

Krabbelgruppen auf Englisch, Geigenunterricht für die ganz Kleinen — schon bei Kleinkindern beginnt der Fördermarathon. Ist das ein Zeichen von zunehmender Unsicherheit der Eltern?

Achim Schad: Einige Eltern haben schon einen übertriebenen Förder-Ehrgeiz. Früher war es das Babyschwimmen, das die kognitive Entwicklung fördern sollte, jetzt ist ihnen der Computer oder die Zweisprachigkeit im Kindergarten wichtig. Schon im Pekip-Kurs (Prager Eltern-Kind-Programm zur Gruppenarbeit im ersten Lebensjahr; Anm. d. Red.) vergleichen Eltern, welches Kind schon was kann und wie weit es in der Entwicklung ist. Dabei ist die Entwicklung kein Babytraining oder eine Babyschule. Vielmehr sollte man die Kinder wachsen lassen und sie individuell unterstützen.

Dagmar Höpfner: Aus den Kitas und Familienzentren hören wir immer wieder von den Leitungen, dass die Eltern zunehmend verunsichert sind. Ein Beispiel aus meinem Kurs: Die Mutter eines einjährigen Kindes machte sich Sorgen, weil ihr Kind noch nicht mit anderen, sondern nur allein spielte. Das Verhalten war jedoch völlig altersentsprechend. Aber gerade beim ersten Kind ist die Unsicherheit oftmals groß. Ich habe den Eindruck, dass das gesunde Bauchgefühl zunehmend verloren geht. Das liegt vielleicht auch an der verwirrenden Vielzahl von Erziehungsratgebern. Was lese ich, worauf vertraue ich? Zumal in der Ratgeber-Literatur teilweise unterschiedliche pädagogische Auffassungen vertreten werden.

War das früher anders?

Schad: Ja. Es gibt nicht mehr so viele Kinder im Umfeld. Die Mütter bekommen mit 30 oder 35 Jahren ihr erstes Kind und sind vielleicht ohne Geschwister aufgewachsen. Die Erfahrungen mit Kindern, die Großfamilie und Familienmitglieder als Ratgeber fehlen. Stattdessen orientieren sich die Eltern an teils angeberischen und unrealistischen Schilderungen anderer Eltern, und die Verunsicherung steigt. Auch die Fixierung auf das Kind als Objekt der Förderung hat sich verstärkt. Höpfner: Heute haben manchmal Eltern schon für ein einjähriges Kind feste Vorstellungen darüber, welches Gymnasium es später einmal besuchen soll. Der Druck ist groß, das ist aber ein gesamtgesellschaftliches Problem.

Viele Kinder bleiben Einzelkinder. Das wird das Problem doch noch verstärken?

Schad: Bei Einzelkindern steht das Fördern sehr im Vordergrund, um diese Kinder kreisen die Eltern ständig als Animateure. „Mach’ Tennis, spiel’ ein Instrument, geh’ zu diesem und jenem Kurs“ — alles wird an das Kind herangetragen. Das kann zu Überdruss führen, so dass die Kinder genervt und trotzig reagieren. Höpfner: Beim zweiten oder dritten Kind sind die Eltern dann oft schon viel entspannter und haben mehr Selbstvertrauen bei der Erziehung.

Haben Sie einen Tipp für die Eltern?

Schad: Man muss Kinder auch mal 30 Minuten sich selbst überlassen. Es gibt Mütter, für die ist das freie Spielen von Kindern kein qualifiziertes Lernangebot. Es geht nicht nur um Fördern und darum, ständig etwas in das Kind reinzustopfen. Gelernt wird vor allem über ein anregendes Umfeld und über Vorbilder. Die Familie selbst ist oftmals schon Lernumgebung genug. Vor allem sollte man Zuversicht und Vertrauen in das eigene Kind setzen. Höpfner: Eltern sollten manchmal gelassener und zuversichtlicher sein. Eltern-Kind-Gruppen können darüber hinaus eine große Hilfe sein, um Erfahrungen auszutauschen und Sicherheit im Umgang mit dem Kind zu erlangen.

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