„In mir war immer viel Punk“

Liedermacher Götz Widmann tritt am Samstag im Live Club Barmen auf.

„In mir war immer viel Punk“
Foto: Claude Hurni

Götz Widmann gilt gemeinhin als Pionier der Liedermaching-Szene und wird von jungen Vertretern des Genres als Gründervater dieser Erneuerungskultur des altehrwürdigen Liedvortrags verehrt. Dabei ist der im unterfränkischen Bad Brückenau geborene Musiker mit seinen 52 Jahren selbst noch gar nicht so alt. Mit dem Erwachsenwerden hadert der Musiker sowieso gehörig, wie er im Interview verrät. Rund drei Jahre nach seinem gefeierten Album „Krieg & Frieden“ kommt Widmann auf der neuen CD als „Sittenstrolch“ daher. Das Programm dazu lautet „Rambazamba“ und verspricht ein Best Of-Widmann der vergangenen 25 Jahre — von brandneu bis klassisch, je nach Lust und Laune.

Herr Widmann, Ihr aktuelles Studio-Album heißt „Sittenstrolch“. Wie sind Sie auf diesen Titel gekommen?

Götz Widmann: Ich wollte das Album zuerst „Viva la Evolución“ nennen. Das Cover-Design sollte Fotos von Tieren zeigen, die wie Hippies aussehen. Eines von den Tieren sollte ich sein. Ich habe mich dafür äußerlich wochenlang total verwildern lassen. Dann haben wir das Foto-Shooting gemacht und als ich die fertigen Bilder gesehen habe, wusste ich sofort: Das ist kein Hippie, das ist ein Sittenstrolch!

Wie bei dem Lied „Latina“?

Widmann: „Latina“ ist in erster Linie ein albernes Lied über ein sehr ernstes Thema. Ich habe mich gefragt, was die Ursachen für Fremdenfeindlichkeit sind und bin zu dem Schluss gekommen, dass dabei in vielen Fällen sexuelle Frustration eine Rolle spielt. Schauen Sie sich die Wutbürger bei den Pegida-Aufmärschen an: Menschen, die genug Liebe bekommen, sehen anders aus. Es gibt übrigens mehrere wissenschaftliche Studien, die einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Männerüberschuss eines Wahlkreises und einer gesteigerten Tendenz zur Gewalttätigkeit und einer demokratiefeindlichen Orientierung nachweisen. Nicht abgebautes Testosteron macht also dumm und schlecht gelaunt. Das ist aber keine große Überraschung für mich...

Und was hat es mit dem Song „Burkiniqueen“ auf sich?

Widmann: Als ich vor einiger Zeit einmal am Tegeler See in Berlin spazieren war, musste ich feststellen, dass das Schönste an der derzeitigen Einwanderung für mich die Frauen mit Migrationshintergrund sind. Am nächsten Morgen habe ich in der Zeitung gelesen, dass ein CSU-Politiker mal wieder über ein Burkiniverbot schwadronierte. Ich glaube wirklich nicht, dass man durch Kleidungsverbote die Integration fördern kann — etwas Dümmeres habe ich noch nie gehört. Diese Aussage hat mich sehr wütend gemacht, aber um nicht genau so zu sein wie der Politiker, habe ich dazu dieses Liebeslied geschrieben.

Dagegen kommt bei dem Song „Zwanzig“ noch ein echter Rocker bei Ihnen durch. Sind Sie ein heimlicher Fan von AC/DC?

Widmann: Das „heimlich“ können Sie streichen! Die ersten AC/DC-Alben mit Bon Scott als Sänger gehören für mich zu den größten Kunstschätzen der Menschheit. Mein Freund Vito Kutzer von der Erlanger Band J.B.O. hat mir geholfen, meine Ideen musikalisch genauso in die Tat umzusetzen. Dass „Zwanzig“ nach AC/DC klingt, ist also hauptsächlich sein Werk.

Warum wollen Sie dann „bei aller Liebe keine 20 mehr sein“?

Widmann: Ach, die Leute jammern immer so über das Älterwerden. Ich habe mich gefragt, ob es mir als jungem Mann tatsächlich besser ging als heute — und die Antwort war eindeutig „Nein“! Wenn ich an damals denke, empfinde ich eher so etwas wie Mitleid. Der Song ist ein wenig übertrieben, aber eigentlich ganz schön wahr.

Resultiert daraus Ihre Hommage an die „Männer ab 50“?

Widmann: In dem Song geht es primär um Sex. Vielleicht sehen Männer mit Mitte 20 besser aus, aber mental ist ein Mann in meinem Alter attraktiver. Das ist eine Tatsache, die vielen Frauen gar nicht bewusst ist. Also musste ich ein aufklärerisches Lied darüber schreiben.

Der Song „Durchdrehen“ versprüht eine raue Punk-Attitüde. Wie viel Punk steckt noch in einem Liedermacher jenseits der 50?

Widmann: Ich glaube, in mir war immer gleich viel Punk. Der Punk ist ein relevanter Bestandteil meiner Gesamtpersönlichkeit und hat jetzt sogar mehr Freiheiten, als noch vor zehn Jahren. Damals mit 40 dachte ich noch, ich müsste mal langsam erwachsen werden. Mittlerweile habe ich eingesehen, dass das bei mir wohl nichts mehr wird und letztlich auch gut so ist.

Was darf man jetzt auf der Bühne von Ihnen erwarten?

Widmann: Ich gehe jetzt wieder solo auf die Bühne. Ich liebe die Freiheit, die ich dadurch habe, wenn ich ohne festen Plan auf der Bühne ganz spontan reagieren kann. Mein Repertoire ist solo unendlich viel größer, als es mit jeder Band sein könnte. Und die Texte kommen so live auch besser durch. Irgendwann kriege ich auch bestimmt mal wieder Lust, mit anderen Leuten Live-Musik zu machen, aber im Augenblick ist der Solo-Auftritt für mich das bessere Konzept.

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