Glanzstoff sprengt alle Grenzen

Bei der Premiere von „Hier kommt keiner durch“ sucht das integrative Theater bewusst den Flirt mit dem Skurrilen.

Glanzstoff sprengt alle Grenzen
Foto: Glanzstoff/Uwe Schinkel

„Hier kommt keiner durch“ hieß es am Wochenende im Theater am Engelsgarten. Aktueller denn je ist das Thema um Grenzen, ob im Kopf, auf Papier, in Gesetzen und Regeln oder ganz manifest in Form von Mauern und Zäunen. Rote Linien sind wieder Mode, waren es eigentlich immer schon, doch sind sie nicht selten willkürlich gezogene Verbote, die überwunden werden wollen. Genau darum ging es dem Glanz-Studio bei seiner Premiere des Stücks „Hier kommt keiner durch“ nach dem gleichnamigen Buch von Isabel Minhós Martins und Bernardo P. Carvalho.

Doch die „Glanzstoff Akademie der inklusiven Künste“, die hinter der Aufführung steht, ist auch jenseits des Theaterstücks an der Überwindung von Grenzen interessiert, bemüht Grenzen, Grenzen sein zu lassen. Menschen mit Handicaps sind oft mit Grenzen konfrontiert, leider immer noch mit eben jenen Grenzen, im Kopf anderer, aber auch Ausgrenzungen, die sich durch gesellschaftliche Umstände ergeben. Dass es auch ganz anders geht, wurde und wird auch im Theater immer wieder eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Wer glaubt, nur weil jemand anders ist als der Durchschnitt, anders aussieht, oder auf Hilfsmittel wie einen Rollstuhl angewiesen ist, vielleicht manche Dinge nicht so gut kann, aus welchen Gründen auch immer, könne kein Theater machen, der irrt gewaltig.

Dass es wohl möglich und mehr als das ist, trotz unterschiedlicher Handicaps ein Schauspiel aufzuführen, das es in sich hat, wurde nun unter der Regie von Markus Höller überaus charmant deutlich vor Augen geführt. Unter der Assistenz von Sabrina Kaminski und Juliette Schenkel präsentierte man modernes Theater, das bewusst den Flirt mit dem Skurrilen sucht. Als wolle man sagen, „wir machen unser Ding — schaut her, wir kennen keine Grenzen und wenn euch was stört, liegt das an euch!“, entführte man das Publikum in eine sonderbar unwirkliche Welt voller Grenzüberschreitungen.

In Szenen, die Grenzen jeweils aus verschiedener Perspektive thematisieren, kreiste das Stück um die Konsequenzen aus der willkürlichen Grenzziehung eines Generals, der die Vorderbühne ganz für sich haben möchte. Da tauchen verschiedene Figuren auf und stoßen an die Grenze, wundern sich, nehmen Anstoß. Ein Kaleidoskop an buntesten Kostümen und Figuren, Räuber und Gendarm, Astronaut, eine Schwangere mit zwei Männern, ET, ein Eisverkäufer, Bauarbeiter, Radfahrer, eine Band, ein Zauberer, Tänzer und Tänzerin und nicht zuletzt ein übererotisiertes Navi und viel mehr, bevölkert in lose sich steigernden Szenen die Bühne.

Der Anfang ist mehr als poetisch, zu David Bowies „Space Oddity“ bahnen sich zwei sonderbar verträumte Figuren ihren Weg durch den Zuschauerraum, versehen mit einer Nebelmaschine und einem wild blinkenden Spielzeugraumschiff zu dem noch verschlossenen Vorhang. Jener wird aufgerissen und es eröffnet sich eine nackte Bühne, die aber angesichts des bunten Geschehens keine Kulisse braucht. Träume sind es, die die Schauspieler aufblühen lassen, witzige, mal schräge, mal anrührende Träume. Dabei wird die Grenze fast nebensächlich. Alle überschreiten die Grenze, da kann der Aufpasser auch nichts mehr machen.

Annette Nádas, Gudrun Winkler, Aline Blum, Merlin Roemer, Wolf Dietrich, Sabrina Kaminski, Nora Krohm, Chantal Priesack, Birte Rüster, Andrea Lück, Patrick Wengler und Lioba Ullrich haben ihre Sache wirklich gut gemacht. Bravo.

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