Forensik: „Angst aus Unkenntnis“

Chefärztin Jutta Muysers über die Erfahrungen mit der Einrichtung in Langenfeld.

Langenfeld. Dass in Wuppertal an der Stadtgrenze zu Velbert eine Forensische Klinik errichtet werden könnte, sorgt bei den Anwohnern für Aufregung. In Langenfeld gibt es eine solche Einrichtung bereits seit 2008. Dort sind 170 Patienten im Maßregelvollzug untergebracht. Jutta Muysers, Chefärztin der Forensik, sprach mit uns über Aufnahme, Behandlung und Wiedereingliederung der Patienten — aber auch über Sicherheitsvorkehrungen und Entweichungen.

Frau Muysers, welche Patienten sind bei Ihnen in der Forensischen Abteilung untergebracht?

Jutta Muysers: Es sind Patienten, die eine chronische Krankheit haben, eine Straftat begangen haben und von denen weiter Gefahr ausgeht. Der Patient ist für die Tat wegen seiner Krankheit gar nicht oder nur eingeschränkt verantwortlich. Das Gericht urteilt dann — auch auf der Grundlage eines psychiatrischen Gutachtens —, dass die Person vermindert oder nicht schuldfähig ist, und ordnet die Unterbringung im Maßregelvollzug an.

Welche sind die weiteren Schritte, nachdem das Gericht das Urteil gesprochen hat?

Muysers: Es erfolgt die Patientenaufnahme in unserer Aufnahme- und Krisenstation. Dort wird die erste Diagnostik gemacht. Ärzte, Psychiater und Pfleger lernen den Patienten kennen und machen sich mit dessen Vorgeschichte vertraut. Diese Station, auf der der Patient mindestens ein halbes Jahr bleibt, ist besonders gesichert und überwacht. Im Anschluss wird der Patient seinem Krankheitsbild entsprechend auf eine der Spezialstationen verlegt. Dort sind ebenfalls Türen und Fenster gesichert.

Wie lange bleibt ein Patient im Schnitt in der Forensischen Abteilung?

Muysers: Durchschnittlich fünf bis acht Jahre. Danach entscheidet sich, ob er stabil genug ist, um ihn auf eine offene Rehabilitationsstation zu verlegen. Da würde er dann auf die Entlassung vorbereitet.

Wer entscheidet das?

Muysers: Die Entscheidung über die Dauer der Unterbringung liegt bei der Strafvollstreckungskammer. Sie hört den Patienten persönlich einmal im Jahr an. Und auch wir als Klinik geben eine Empfehlung, welche Behandlung welche Erfolge hätte. Aber nur die Patienten, von denen keine Gefahr mehr ausgeht, kommen auf die offene Station.

Bürger in Wuppertal und Velbert befürchten Ausbrüche, sollte sich eine Klinik ansiedeln.

Muysers: Wenn Leute davon sprechen, dass etwas schiefgelaufen ist, meinen sie entlaufene Häftlinge, nicht die Forensik. Auch die Formulierung „Freigang“ kommt immer wieder vor, aber auch das gehört in den Gefängnisbereich. Bei uns gibt es sogenannte „Lockerungen“, die der Patient erst in Begleitung und später alleine durchführen darf, wenn keine Gefahr von ihm ausgeht.

Gibt es denn Entweichungen?

Muysers: Ja, die gibt es. Wir haben etwa fünf im Jahr.

Und das sind fünf zu viel?

Muysers: Im Prinzip ist jede Entweichung zu viel, dennoch sind es wenige, und es gibt keine Delikt-rückfälle. Es lassen sich Erklärungen für diese Entweichungen finden: Es gibt beispielsweise einen chronisch schizophrenen Patienten, der manchmal starke Sehnsucht nach seiner Mutter im Altenheim bekommt.

Haben die Langenfelder damals Ängste vor einer Forensik geäußert?

Muysers: Ja, es gab eine Protestwelle, es hat sich sogar eine Bürgerinitiative gegründet. Aber Ängste resultieren immer daraus, dass man nicht genau weiß, was da eigentlich passiert. Deshalb sind wir damals in die Offensive gegangen und haben Führungen durch eine forensische Station gemacht und waren mit vielen Infoständen vertreten. In unserem Forensikbeirat ist mittlerweile auch eine Frau, die eine Bürgerinitiative gegen die Forensik gegründet hatte. Wir haben Vertrauen geschaffen.

Und mittlerweile sind die Ängste ausgeräumt?

Muysers: Weitestgehend. Wenn ein Hubschrauber über der Klinik kreist, denken immer noch viele, dass jemand aus der Forensik gesucht wird. Aber es betrifft dann fast immer die Allgemeinpsychiatrie.

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