Förderschule schickt Kinder früher nach Hause

Weil Sonderpädagogen fehlen, fällt die Hälfte der Nachmittage weg.

Förderschule schickt Kinder früher nach Hause
Foto: dpa

„Ich bin froh, dass ich so einen flexiblen Arbeitgeber habe.“ Stefan Halbach ist ziemlich resigniert. Und erleichtert, dass für seine 18-jährige Tochter der Besuch der Förderschule am Nordpark bald vorbei ist. Der Außendienstler musste immer öfter seinen Arbeitstag so gestalten, dass er auch seine Tochter mit Entwicklungsverzögerung betreuen konnte. Denn an der Schule wurden immer mehr Stunden gestrichen.

Die Schule am Nordpark ist eine Förderschule mit dem Schwerpunkt geistige Entwicklung. 245 Kinder und Jugendliche mit unterschiedlich schweren Behinderungen besuchen sie. Offiziell ist sie Ganztagsschule. Doch derzeit bleiben die Schüler nur Dienstag und Mittwoch bis zum Nachmittag. Freitags war schon immer, jetzt ist auch montags und donnerstags bereits am Mittag Schluss. Nur einzelne Kinder können donnerstags länger betreut werden. Stefan Halbach sagt: „Uns fehlen pro Woche 8,5 Stunden.“ Grund für die Stundenreduzierung: Lehrermangel.

Das bedeutet für betroffene Familien eine wesentlich größere Herausforderung als für Familien mit gesunden Kindern. Der alleinerziehende Vater Stefan Halbach will seine Tochter nicht allein lassen, arbeitet nur vier Tage in der Woche und muss trotzdem oft andere Lösungen finden.

Die Mutter einer mehrfach behinderten Tochter (19) mit unter anderem starker Epilepsie sagt eindeutig: „Sie kann nicht allein sein.“ Die Mutter arbeitet nur stundenweise, ihr Mann ist dank Frühschicht früh zu Hause. Zudem springen die Großeltern ein. „Man gibt nicht jedem sein Kind“, sagt die Mutter.

Sie ist wie Stefan Halbach frustriert, dass sich die Situation seit Jahren verschlechtert hat, ihre Proteste und Beschwerden bei Schulamt und Bezirksregierung ohne Wirkung blieben. „Es hieß immer wieder, dass Stellen bewilligt werden. Aber das nutzt nichts“, sagt Stefan Halbach. Er glaubt, dass sie nur hingehalten würden. Auch eine Protestaktion, bei der Eltern Postkarten an die Schulaufsicht schickten, bekam keine Resonanz. „Das Problem wird totgeschwiegen“, empört sich Stefan Halbach.

55 Stellen für Lehrer - Sonderpädagogen — gibt es an der Schule am Nordpark. Theoretisch sind alle besetzt. In der Praxis fehlen laut Bezirksregierung elf Vollzeitkräfte wegen Mutterschutz oder Langzeiterkrankung. Zwar wurden elf Vertretungsstellen ausgeschrieben, aber nur vier ließen sich besetzen. „Die übrigen Stellenausschreibungen sind mangels Bewerbern leider leergelaufen.“

Eine Folge davon sind die verkürzten Schultage. Darunter litten auch die Inhalte, sagt Stefan Halbach: Wenn er nicht mit seiner Tochter Lesen und Schreiben üben würde, hätte sie es vergessen. Schulleiterin Marianne Kuhlmann zählt weitere Kürzungen auf: „Differenzierungsgruppen fallen aus.“ Die Skifreizeit fiel weg. Und besonders bitter: „Jetzt mussten wir eine Jahrgangsfahrt ausfallen lassen.“ Dabei seien gerade die sonst jährlich stattfindenden Fahrten so wichtig. „Die Kinder machen jedes Mal einen Riesensprung.“

Für Helga Krüger von der Lehrergewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ist der Mangel an Sonderpädagogen „ein Dauerbrenner“. Die Politik habe seit Jahren nicht genug gegengesteuert.

Als Ursache für den Mangel an Sonderpädagogen werden genannt: steigende Schülerzahlen allgemein, steigende Zahlen der Kinder mit besonderem Förderbedarf, die Inklusion. Die vorige Landesregierung hat ab 2013 die Ausbildung von Sonderpädagogen ausgebaut, aktuell wird dieses Programm verlängert (siehe Kasten). Bis aber zusätzlich Sonderpädagogen zur Verfügung stehen, wird es noch dauern.

NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) wirbt aktuell mit einer Kampagne um Lehrer und Sonderpädagogen. Beim Fach Sonderpädagogik gibt es aber ohnehin seit Jahren mehr Bewerber als Plätze, der NC lag in den letzten Jahren bei 1,6 bis 3,0. Im Rahmen der Kampagne heißt es, die Einstellungschancen für Sonderpädagogen seien gut bis hervorragend, da es aktuell eine große Zahl von unbesetzten Stellen gebe.

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