Einmalig schön: Schwebende Lesung im Kaiserwagen

Zwei Autoren lasen in der Schwebebahn – und bescherten den Mitfahrern so eine besondere Wuppertal-Stunde.

Wuppertal. Zugpendler mit E-Book-Erfahrung können sich hineindenken, auch Autofahrer mit Hang zum Hörbuch sind halbwegs im Bilde. Dennoch: Das Lesen in der Schwebe(bahn) besitzt unbezahlbare Einmaligkeit, zumal dann, wenn einem der Buchautor selbst die Arbeit des Lesens abnimmt. Unter dem Titel "mobi-Les" tingelten Autoren durch NRW, um den Verkehrsverbund mit frischen Ideen aufzupeppen. Am Samstag war Endstation in Wuppertal am Schwebebahnhof Vohwinkel.

Etwa 60 Teilnehmer finden sich ein zum Wackeltreff an der Bahnsteigkante, wo die Türen des Kaiserwagens aufklappen. Dass sich am Fahrtziel Oberbarmen so wenig ändern würde wie an der Rückreise westwärts, liegt in der Natur der Sache. Und doch scheint dieses Mal die Tour so gänzlich anders zu verlaufen: Leuchtreklamen gegen dunklen Himmel, die johlenden Fans des heute einmal siegreichen WSV unten auf dem Trottoir, in der Ferne Lichtspuren der Autofahrer. In einem dieser Wagen könnte er sitzen, der Antiheld von Schriftsteller Thomas Klupp, der im Roman "Paradiso" auf völlig blödsinnigen Umwegen von Potsdam nach München rast.

Mit 180 auf der Autobahn ist freilich eine andere Klamotte, als quietschend-rumpelnd durchs Tal zu zuckeln. Womit die Flut der Sinnesreize bereits eine Achterbahn im Kopf installiert. Da unten winkt jemand, hinter ihm bolzen Fußballer unter Flutlicht auf dem Sportplatz Sonnborn.

"Er steht jetzt vor der Kirchentür", liest Klupp, während sich die Schwebe an der Sonnborner Hauptkirche in die Linkskurve legt. Die Mona Lisa unten an der Elba-Fabrik lächelt herüber, die Außenbilder verschieben sich mehr und mehr gegen die Handlung des Buches, bis Klupp an der Völklinger Straße abbricht und nur noch die vorbeiziehende Stadt sprechen lässt.

Auf dem Rückweg übernimmt Mirko Bonné das Mikro und bedauert, dass er dabei seinen Lesern den Rücken zukehren muss. Doch warum sollte an der verdrehten Lesereise irgendwas wie gewohnt ablaufen? Auch der Tod von Albert Camus, den Bonné in "Wie wir verschwinden" unter die Lupe nimmt, erhält vierte und fünfte Dimensionen.

Da wird ein Autounfall wie mit der Ziehharmonika in eine schier unerträgliche und zugleich faszinierende Länge gestreckt, während der Kaiserwagen wie teilnahmslos durch die Dunkelheit rumpelt. Dass unterwegs die Stelle passiert wird, an der ehedem eine Schwebebahn in die Wupper stürzte, mag manch einem in die Glieder fahren. Aber diese verdrehte Fahrt endet sanft und mit nur einem Wunsch: dass im Kulturbüro der Stadt in diesen harten Zeiten noch Restbeträge bleiben, um dereinst wieder mit Vorleser schweben zu dürfen.

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