Wuppertal Ein Tag im Leben eines Drogenabhängigen - Zwischen Konsumraum und Platte

Maik Scholz nimmt seit mehr als 40 Jahren Drogen. Die WZ hat ihn ein Stück begleitet.

Wuppertal. Es geht zu wie in einem Taubenschlag. Immer wieder öffnet sich die Tür und jemand betritt den gekachelten Raum. Hat entweder eine Butterbrottüte in der Hand oder Alufolie — Hilfsmittel beim Drogenkonsum. Hier, im Konsumraum der Einrichtung „Gleis 1“, kann nun auch Maik Scholz (54) die Portion Heroin zu sich nehmen, die er braucht.

Vorher ist er auch nicht ansprechbar, mit Kapuze über dem Kopf strebt er an den Alutisch, packt mühsam die zahlreichen Utensilien aus der Tüte, erhitzt die Bröckchen Heroin in einer Minischale mit Hilfe eines Feuerzeugs, zieht die Spritze auf. Es dauert, bis er eine Vene trifft und sich die Flüssigkeit ins Blut spritzen kann. Danach ist er wie ausgewechselt. Während er behände die zweite Portion zubereitet, fängt er an zu erzählen und mit den Männern an den Nachbartischen zu plaudern. Dass sie sich doch neulich gesehen haben, ob nicht einer von ihnen studiert habe. Dann kommt das Thema auf, das an diesem Morgen alle beschäftigt: Dass die Polizei rund um den Hauptbahnhof „aufgeräumt“ hat.

„Die haben uns alle an die Wand gestellt“, berichtet ein junger Mann mit Wollmütze, verbessert sich: „Sie haben uns zur Wand geschickt.“ Die Beamten hätten Ausweise eingesammelt, elf Leute mit auf die Wache genommen. Und angekündigt, bald wiederzukommen. „Die wollen uns weghaben. Die denken, wenn sie uns stören, dass wir uns auflösen“, ärgert er sich. „Die sollen uns einen Platz geben, wo wir unsere Ruhe haben und keinen belästigen. Wir machen doch nichts.“ Maik sagt: „Die sollen froh sein, dass wir an einem Platz sind.“ Dann könne man sie kontrollieren. Und den Stoff. Denn dessen Qualität sei doch auch wichtig.

(Nach einem Verstoß gegen die Regeln muss Maik unter freiem Himmel einen Platz suchen, um das Heroin zuzubereiten. Foto: Anna Schwartz)

Seine Portion an diesem Tag war gut. Aber er hat lange suchen müssen: „Das war eine Odyssee!“, klagt er. An den angestammten Plätzen fand er keine Verkäufer — „das gab schlechte Laune ohne Ende“. Ein Bekannter wusste dann, wo es etwas gibt.

Etwas mehr als 15 Euro hat Maik ausgegeben. Wie viel Gramm das sind, wisse er nicht. Er habe sich „alles reingeballert“, jetzt gehe es ihm wieder gut. Er räumt sorgfältig seinen Platz auf, versieht die Spritzennadeln mit Deckeln.

„Das ist das Gute, dass es hier Spritzen gibt“, sagt er. Früher hätten sie zu mehreren eine benutzt. Im Konsumraum erhalten die, die spritzen, neue Spritzen, Nadeln, Tupfer und Pflaster. Und wer raucht, Alufolie für das Röhrchen, mit dem er den Rauch einsaugt.

Maik isst etwas im Café von Gleis 1 nebenan. Die Spaghetti gibt es nur noch ohne Soße, die ist aus. Ihm schmeckt es trotzdem. Das Essen hier sei „ausgesprochen lecker“.

(Unter freiem Himmel sind die hygienischen Bedingungen meist zweifelhaft. Im Konsumraum ist dagegen alles sauber und er erhält frische Gerätschaften. Foto: Anna Schwartz)

Am Nachmittag geht er in die City, „schnorren“, wie er sagt. Dann sitzt er auf dem Gehsteig, lässt sich von Passanten Geld, auch etwas zu essen geben. Es geben gut gekleidete, aber auch Menschen, die nicht nach Gutverdiener aussehen. „Immer wieder entstehen Gespräche“, berichtet er.

Er sagt, dass er zufrieden mit seinem Leben ist. Drogen nehme er, seit er 13 Jahre alt war, erst Hasch, später Heroin. Die Schule hat er mit 14 geschmissen, „ich hatte keinen Bock mehr“. Gelesen hat er aber weiter, Romane und Bücher über Geschichte. Ein paar Mal hat er gearbeitet, einmal eine Lehre begonnen. Immer wieder hatte er „keinen Bock mehr“. Mal hatte er eine Wohnung, mal nicht, saß auch im Gefängnis. Dahin will er nicht mehr. Er ist sogar gereist, war in Holland, Belgien, Frankreich, jeweils zu Fuß. In Frankreich blieb er ein Jahr: „Das hat mir gefallen.“ Auch dort lebte er auf der Straße.

Wie jetzt in Wuppertal. Er schläft in der Notschlafstelle. Sein Geld erhält er vom Versorgungsamt. Denn er hat einen „Behindertenpass mit 70 Prozent — wegen Psyche“, sagt er, pult dabei Tabak aus Zigarettenstummeln, dreht daraus eine neue Zigarette. 410 Euro bekomme er vom Versorgungsamt. Nicht genug, wenn er täglich rund 40 Euro für Drogen braucht. Pläne hat er keine. Das bringe nichts: „Meistens kommt es anders, als man denkt.“

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