Ein Mensch stirbt — und niemand bekommt es mit

Regelmäßig retten Feuerwehren hilflose Personen, manchmal kommt Hilfe zu spät. Die GWG sucht Auswege aus Anonymität.

Ein Mensch stirbt — und niemand bekommt es mit
Foto: Agit Keser

Wuppertal. Ein Mann stirbt in Wuppertal. Und niemand vermisst ihn. Wochenlang lag er in seiner Wohnung an der Neviandtstraße — bis die Nachbarn einen komischen Geruch bemerkten.

Sie riefen die Polizei. Die Beamten kamen mit der Feuerwehr, um die verschlossene Wohnungstür zu öffnen. Dahinter lag der Nachbar, gestorben bereits vor Wochen. „Das haben wir häufiger in Wuppertal“, sagt eine Polizeisprecherin. Menschen, die erst nach Wochen vermisst werden. Immer häufiger fehlt in der Großstadt der Kontakt zur Nachbarschaft, interessieren sich die Menschen nicht mehr füreinander. Oder die Kinder wohnen weit weg — die Gründe sind vielfältig.

Matthias Keller ist Diplom-Sozialarbeiter und leitet das Soziale Management der Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft Wuppertal (GWG). Er und GWG-Geschäftsführer Oliver Zier versuchen, die Anonymität auch aus ihren größten Wohneinheiten zu vertreiben — wohl wissend, dass sie die Welt nicht retten können. „Selbst wenn sich alle Wuppertaler Wohnungsbaugesellschaften zusammenschließen, decken wir nur 20 Prozent des Wohnungsmarktes ab“, sagt Zier. Der Großteil der Wuppertaler wohnt privat.

Es sei aber schwer, die psychischen Probleme seiner Mieter zu beobachten und zu betreuen. Körperliche Leiden seien einfacher, sagt Zier: „Dann stellen wir eine Rampe für Rollstuhlfahrer auf.“ Wie aber die Menschen finden und begleiten, die abdriften? „Wer bekommt seinen Alltag nicht organisiert, ist überschuldet oder einsam?“

Es dürfe nicht so weit kommen, wie damals, als Matthias Keller alle älteren Mieter besuchte. Sie fanden einen Mann, der in seiner Wohnung völlig verwahrlost lebte. Die GWG hat ihm mit karitativen Partnern wie Diakonie und Caritas geholfen. Zier: „Das passiert, wenn sich das Leben auf 50 Quadratmeter verengt.“

Ihr Einsatz sei für die GWG nicht nur rein soziales Engagement. Auch aus kaufmännischer Sicht lohne sich die Arbeit von Keller und Kolleginnen. Wer zulässt, dass seine Mieter verwahrlosen, zahlt an anderer Stelle drauf, sagt Zier.

Das „Salz in der Suppe“ sei dabei das Ehrenamt der Mieter, etwa in den Nachbarschaftstreffs. Die Ehrenamtler kennen die Menschen in ihrem Kiez, fragen nach, wenn sie jemanden nicht sehen. „Oder es gibt Nachbarschafts-Agreements“, sagt Zier. Eine Nachbarin hängte einen Abriss-Tageskalender vor ihre Haustür. Wenn das Datum nicht aktuell war, klingelte jemand aus der Nachbarschaft.

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