Ein einzigartiger Blick auf Sprockhövels Stadtgeschichte

Stadtarchiv und Geschichtsverein bringen die Chronik des Amtsmanns Thomas Noelle als Buch auf den Markt.

Ein einzigartiger Blick auf Sprockhövels Stadtgeschichte
Foto: Anna Schwartz

Sprockhövel. Seit langem bestanden sowohl beim Stadtarchiv als auch beim Heimat- und Geschichtsverein Pläne, die Chronik des Amtmanns Thomas Noelle aus dem 19. Jahrhundert in Buchform zu präsentieren. Jetzt wurde dieses Ziel gemeinsam verwirklicht. Für die Edition der Chronik, eine Mammutaufgabe, holte sich die Stadtarchivarin Karin Hockamp den erfahrenen Erforscher von Familien- und regionaler Geschichte, Christian F. Seidler, mit ins Boot. In rund zweijähriger Arbeit entstand ein knapp 400 Seiten starkes, reich bebildertes Buch mit vierfarbigem Einband im Din A4-Format, das Einblicke in Selbstverständnis und Sichtweisen eines preußischen Verwaltungsbeamten wie auch in die Strukturen des preußischen Obrigkeitsstaates gibt.

Der Amtmann schildert das damalige Leben aus Sicht eines königlich preußischen Regierungsbeamten. Die Chronik gilt als die wichtigste Quelle Sprockhöveler Stadtgeschichte und wurde 1848 der Königlich Preußischen Regierung in Arnsberg vorgelegt. Die Texte geben die Probleme und Herausforderungen wieder, die die Kommune Sprockhövel (umfasste damals Niedersprockhövel, Obersprockhövel und den westlichen Teil Hiddinghausens) am Eingang des Industriezeitalters zu bewältigen hatte. Noelles handschriftliche Aufzeichnungen, die in zwei im Stadtarchiv und im Heimat- und Geschichtsverein aufbewahrten Exemplaren überliefert sind, stellten die beiden Autoren bisweilen vor Herausforderungen, doch wie Christian Seidler anmerkte: „Wenn ein Freund eine krakelige Handschrift hat, dann lernt man auch im Laufe der Zeit, sie zu entziffern. Und so war es auch hier. Außerdem gibt es Nachschlagewerke, wie das ,Allgemeine Verteutschungsbuch’ von Karl Christian Müller die uns die Arbeit erleichtert haben.“

Aber nicht nur die Handschrift des fleißigen Amtmanns Thomas Noelle, auch die damalige Ausdrucksweise, gaben bei der Aufarbeitung Rätsel auf. Die werden in den vielen Fußnoten gelöst und erleichtern dem interessierten Leser die fesselnde Lektüre. Beispielsweise, dass „dechargieren“ heute als „entlasten“ bezeichnet wird, oder dass „rectificiren“ schlicht „berichtigen“ heißt.

Noelle zeigte sich an allen Bereichen des damaligen Lebens interessiert und hatte auch die Zerstreuungen der Untertanen ebenso wie deren Seelenheil im Auge. So als er aus einer Anordnung des Markgrafen von Brandenburg aus dem Jahr 1649 zitiert: „Demnach seine Churfürstliche Durchlaucht zu Brandenburg, Unser gnädigster Herr dem Dorf und Kirchspiel Sprockhoevel jährlich vier Jahrmärkte gnädigst verstattet, und dieselben damit privilegiret haben“. Natürlich erwähnt der Amtmann auch die damit verbundene Ermahnung des brandenburgischen Landesherren an seine Untertanen: „daß jedoch deßelbigen Tages um 1 Uhren die gnädigst verordnete Betstunde in der Kirche zu Sprockhoevel observiret und nicht verabsäumt werde“.

Erläuterungen und Erklärungen durch die beiden Autoren erleichtern die Lektüre, die sich unter anderem auch mit der „armen Flora Sprockhövels“ wie auch mit der Fauna befasst, mit dem Bedauern darüber, dass da wo einstmals das „schlanke Reh durch die Büsche hüpfte, man jetzt ärmliche Weiber und Kinder“ gewahr wird. Leben und Sterben und die Weltanschauung der Sprockhöveler des 19. Jahrhunderts werden in dem Werk deutlich. Ein umfangreiches Kapitel widmen Karin Hockamp und Christian F. Seidler auch dem Chronisten selbst, dem sie eine gute Struktur seiner Schilderungen bescheinigen, aber in ihm keine literarische Begabung sehen. Offen erkennbarer Antisemitismus, Arroganz und Menschenverachtung kommen in seinen Aufzeichnungen ebenso zum Ausdruck, wie auch detailversessene Fachinformation und unbedingte Gefolgschaft gegenüber dem preußischen Herrscherhaus. Alles in allem eine Chronik, die zu einem ausgiebigen Studium anregen sollte.

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