Die Übersetzerin der schwarzen Punkte

Julia Jones hat mit dem Sinfonieorchester Großes vor. Aber Jahreswechsel mit Johann Strauß gibt es mit der neuen Chefdirigentin nicht mehr.

Die Übersetzerin der schwarzen Punkte
Foto: Anna Schwartz

Eine Frage scheint Julia Jones nicht mehr hören zu können. „Das ist für mich nie ein Thema gewesen“, sagt die Chefdirigentin des Wuppertaler Sinfonieorchesters, wenn sie nach Frauen am Taktstock gefragt wird. Der Wuppertaler Richard Wagner Verband hat sie danach gefragt. Und Jones antwortete. Bestimmt. Interpretationsfrei. Ganz so, wie sich Wuppertals Klassikfreunde die nun erst richtig angebrochene Amtszeit der Engländerin vorstellen dürfen. Heute gebe es viele Frauen, die Orchester dirigieren. Und noch mehr kämen hinzu. Punkt.

Julia Jones ist offenbar nicht nach Wuppertal gekommen, um sich mit für sie überflüssigen Diskussionen aufzuhalten. Es geht nicht um Mann oder Frau auf dem Podest vor bis zu 100 Musikern. Es geht um Sprache, Ansprache, Qualität. Es geht darum, das bestehende Publikum zu erhalten und neues, jüngeres zu gewinnen. Und wenn es manchen auch wehtun mag, schreckt Jones nicht davor zurück, alte Zöpfe abzuschneiden.

Das haben die Gäste des Neujahrskonzertes erfahren, die mit schmeichelnden Klängen von Johann Strauß rechneten. Warum? Weil es immer so war. „Zehn Jahre gab es nichts anderes“, sagte Jones. „Alle wussten das. Nur ich nicht.“ Also spielte das Orchester, dem die neue Dirigentin nur Bestnoten gibt, Tango, sehr schön sogar. „Aber zwei Damen haben schriftlich protestiert. Sie wollten ihr Geld zurück. Sie haben es bekommen.“ Johann Strauß zum Jahreswechsel gibt es trotzdem nicht mehr. Da lässt die 56 Jahre alte Dirigentin nicht mit sich verhandeln.

Julia Jones

Wer Zukunft will, darf nicht zu sehr am Vergangenen festhalten. „Früher gibt es nicht. Früher ist vorbei“, sagt Jones. Sie will Zukunft für die klassische Musik. Und dafür braucht es mehr neues Publikum. „Wir sind die Übersetzer der schwarzen Punkte auf dem Notenblatt“, erklärt sie.

Und das sagt über die Nachfolgerin von Toshiyuki Kamioka viel aus. Einfach gut spielen, vielleicht auch ein bisschen neu interpretieren, reicht auch für die noch so genialen Werke Mozarts, Verdis, Wagners und Beethovens nicht mehr aus. Sie brauchen Übersetzungen für jene, die heute noch glauben, diese Musik sei nicht für sie gemacht.

Jones will übersetzen. Deshalb wird es im Laufe der neuen Saison Konzerte beispielsweise mit Werken von Mozart und Mendelssohn geben, in deren Verlauf Briefe der Komponisten verlesen werden, die sie jeweils im Alter von 14 Jahren geschrieben haben. Die Idee ist, die großen Meister normal zu machen, sie zu erklären, ihnen den musikalischen Heiligenschein zu nehmen, damit ihre Musik noch mehr Menschen erreichen kann.

In einem weiteren Konzert werden Werke von Berlioz und Wagner um den Vortrag des heutigen Chefarztes einer psychiatrischen Klinik erweitert, der früher selbst einmal Tenor gewesen ist. Auch das soll helfen, die Komponisten besser zu verstehen und damit deren Werke. „Wir spielen nicht für uns, wir spielen für das Publikum“, sagt Julia Jones. Klassische Musik sei nicht für ein bestimmtes Publikum geschrieben. „Wir wollen den Menschen die Angst nehmen.“ Vieles spricht dafür, dass Julia Jones das schafft. Vor allem scheint sie die Fähigkeit mitzubringen, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen.

„Wenn der Dirigent vom Podest fällt, spielt das Orchester einfach weiter. Die können das, den Musikern ist egal, wer sie dirigiert“, sagt sie und unterschlägt mit trockenem Humor die oft mühevollen Probe- und Einübungszeiten, ohne die kein Orchester gut sein kann.

Wie anders sie vermutlich ist, als ihr meist in sich gekehrt wirkender Vorgänger lässt Jones’ Antwort auf die Frage erahnen, welche großen Meister sich privat bei ihr auf dem Schallplattenteller drehen. Das sind nämlich nicht immer Mozart, Verdi und Wagner, sondern gern auch Gillan, Blackmore und Gabriel. Julia Jones mag auch gute Rockmusik, vor allem die von Deep Purple und Genesis.

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