„Die 633 ist wie ein Dorfplatz“

Busfahrerin Petra Wesener ist seit 19 Jahren das Gesicht der Linie durch Cronenberg.

„Die 633 ist wie ein Dorfplatz“
Foto: Stefan Fries

Cronenberg. Jede Schicht ist für Petra Wesener ein Heimspiel. Wenn die 50-Jährige mit „ihrem“ Bus der Linie 633 durch Cronenberg fährt, winken Grundschüler und Senioren — vom Straßenrand, aus dem Gegenverkehr und aus geöffneten Fenstern. Es wirkt ein wenig so wie Karneval in Düsseldorf. An jeder Haltestelle ein großes Hallo. Einige Fahrgäste begrüßen Wesener mit Handschlag. Sogar musikversunkene Jugendliche ziehen für einen anständigen Gruß ihren Ohrstöpsel aus der Muschel. „Ich behandele meine Fahrgäste wie Gäste. Und das bekomme ich dann auch zurück“, sagt Wesener.

Die Cronenbergerin hat sich ihre Berühmtheit über 19 Jahre auf der Linie 633 verdient. Seit 18 Jahren lenkt sie ausschließlich montags bis freitags immer von 5.40 bis 13 Uhr ihren Bus durch Burgholz, Küllenhahn und ihr „Dorp“. Ein Bus, ein Gesicht — das ist bei den WSW eigentlich nicht die Regel. Aber vor 18 Jahren machte die alleinerziehende Mutter zweier Kinder diesen besonderen Deal mit ihrer Chefin aus, der auch von ihrem jetzigen Arbeitgeber, den WSW, toleriert wird.

Rund anderthalb Stunden braucht der 633er, bis er nach einigen Schleifen durch den Stadtteil wieder an der Starthaltestelle „Am Burgholz“ angekommen ist. In dieser Zeit dreht Wesener nicht nur das große Lenkrad und lässt ihre Finger über die Türöffner-Knöpfe tanzen, sondern beschäftigt sich auch viel mit den Menschen in ihrem Bus — natürlich nur, wenn das Fahrzeug steht. „Ich habe schon Eheberatung und Erziehungstipps gegeben oder neue Wohnungen vermittelt“, sagt die Busfahrerin, die eigentlich ausgebildete Erzieherin ist.

Dieser Hintergrund schimmert heute noch durch. Einmal habe sie einem traurigen Jungen aus der Misere geholfen, der nicht wusste, wie er sich gegen ein paar ältere Jungs zur Wehr setzen sollte. Einer jungen Abiturientin, die damit haderte, ein Auslandssemester einzuschieben, gab sie mit auf den Weg: „Ich habe im Leben eigentlich immer nur die Sachen bereut, die ich nicht gemacht habe.“ Jahre später sei die junge Frau dann wieder eingestiegen und habe ihr für den Tipp gedankt.

Auf der Cronenbergstrecke weiß Wesener genau, wer wo wohnt und wohin möchte. Fremde Gesichter sind die Ausnahme. Fahrgäste mit unsicherem Blick fragt sie lieber mal: „Möchten Sie wirklich hier mitfahren?“ In der Regel wollen die nämlich einen anderen Bus nehmen. Ins Tal.

Der Bus füllt sich mit Cronenbergern. Gespräche starten. Man kennt sich. „Die 633 ist wie ein Dorfplatz“, sagt Wesener. Die Stimmung ist eher so, wie man das aus einem Bürgerbus kennt.

In 19 Jahren musste Wesener nur eine Person des Busses verweisen. „Ein junger Mann, der aussah wie ein Rechtsradikaler, hat einen Türken aufs übelste beschimpft“, erinnert sie sich. Als dieser beim Aussteigen auf dem Absatz kehrt machte und ein Messer zückte, habe sich Wesener zwischen die beiden gestellt. Nachdem die Eskalation abgewandt war, sei der Mann an der nächsten Haltestelle rausgeflogen.

Nie vergessen wird die Busfahrerin auch die beiden Male, als sie zufällig bei schweren Unfällen noch vor den Sanitätern am Unglücksort vorbeifuhr. Vor etwa elf Jahren sprach sie einem in seinem Auto eingeklemmten Fahrer gut zu. Vor anderthalb Jahren hielt sie die Hand einer älteren Dame, die in Küllenhahn von einem LKW überrollt worden war. Der Mann überlebte, die Dame starb.

Der Alltag ist weniger aufwühlend. Im Laufe der Fahrt wird der Bus zum rollenden Wohnzimmer. „Petra, fahrt ihr morgen wieder oder wird morgen noch einmal gestreikt?“, will eine Frau wissen. An der nächsten Haltestelle steckt ein Mann den Kopf in den Bus, um mit Petra Wesener ein paar Worte zu wechseln. Dann winkt er und geht seines Weges. Drei Kinder kommen mit spitzbübischem Lächeln in den Bus gestürmt. „Hallo, ihr Süßen“, sagt die Busfahrerin.

Den Alltag ohne ihre Gäste kann sich die 50-Jährige gar nicht mehr vorstellen. Einmal war sie sechs Wochen krank — und hielt es irgendwann nicht mehr aus. Wesener lacht: „Da habe ich mich dann einfach als Fahrgast in die 633 gesetzt.“

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