Wuppertaler Geschichte Der Steckrübenwinter

Detlef Vonde von der Bergischen VHS über Barmen und Elberfeld im Ersten Weltkrieg.

Wuppertaler Geschichte: Der Steckrübenwinter
Foto: A. Hammer

Wuppertal. Winter 1916. Es ist Krieg, extrem kalt und die Menschen an der „Heimatfront“ auch im Wuppertal hungern. Grund dafür sind die Missernten des Jahres und vor allem das Handelsembargo gegen das Deutsche Reich im sich verschärfenden Ersten Weltkrieg.

Allmählich wurde deutlich, dass der so genannte „vaterländische Krieg“ nur wenige Gewinner kannte. Die Stimmung in der Bevölkerung kippte. Ab 1916 hatten Wuppertaler Unternehmen auf Kriegswirtschaft umgestellt. Bereits ein Jahr zuvor hatte die Firma Vorwerk ihre Produktpalette um Feldbetten für den Fronteinsatz erweitert, ab 1916 dann um Maschinengewehre.

„Eingeschossen“ wurden diese Waffen bis zum Kriegsende regelmäßig hinter dem Barmer Rathaus. Bis Kriegsende produzierte die Firma rund 1600 MGs für etwa 10 000 RM pro Stück. Das brachte Gewinne in die Unternehmenskassen. Kriegsproduktion, das hieß im Tal zunächst Herstellung von Munitionsbändern, Zelt- und Wagenplanen, Decken oder Schnürriemen. Heeresaufträge gab es verstärkt erst ab 1916 - dann aber kräftig: Waffen, Granaten, Munition, Gasmasken - auch für Pferde.

Auf der anderen Seite standen die „Verlierer“: Die Arbeitslosen, Demoralisierten, Kriegsversehrten und all die Enttäuschten, die spätestens ab dem Hungerwinter 1916/17 diesen grausamen Krieg fern der Schlachtfelder gleichsam hautnah zu spüren bekamen - und ablehnten. Was war aus der angeblichen „Kriegseuphorie“ zu Beginn geworden? Kriegsbegeisterung, das konnten und wollten sich offenbar längst nicht alle leisten.

Für manche Wuppertaler war der 1. August 1914 tatsächlich noch ein euphorischer Tag gewesen. Der General-Anzeiger titelte voll Pathos: „Vom Balkon des (Elberfelder) Rathauses gab Oberbürgermeister Funck die Mobilmachung bekannt. Die dort versammelte Menge brach in brausende Hurra- und Hochrufe aus.“ Aber zogen die jungen Rekruten tatsächlich begeistert und voller Heldenmut in den „vaterländischen“ Krieg? Diese Vorstellung war über Jahrzehnte hinweg im kollektiven Bewusstsein der Deutschen fest verankert. In letzter Zeit aber wurde dies durch eine Reihe wegweisender Forschungen korrigiert. Die Arbeiterschaft vor allem hatte nämlich ganz andere Sorgen.

Vermutliche Produktionsausfälle bedeuteten drohende Arbeitslosigkeit. Die allgemeine Stimmung war eher ein „Gemisch“ verschiedener, oft auch widerstreitender Gefühle, die von Spannung, Erregung, Stolz, Begeisterung und Zuversicht bis zu Panik und Verzweiflung reichten. So der amerikanische Historiker Jeffrey Verhey. Die katastrophale Ernährungslage, rationierte Lebensmittel und Wucherpreise im kalten „Steckrübenwinter“ 1916/17 ließen die Stimmung nun endgültig kippen.

Gerüchte über feindliche Spionage und angebliche Attentate auf die Talsperren im Bergischen führten zu einer Art Kollektivhysterie im Alltag. Es gab Übergriffe auf Fremde, auf potenzielle oder eingebildete „Feinde“. Erste Demonstrationen fanden ab Februar 1917 in Barmen statt. Polizei- und Militäreinsätze nach innen - die typischen Reaktionsmuster des Obrigkeitsstaates, gerade auch im Krieg: Der Anfang vom Ende.

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