Depressive Menschen finden ihre Stimme

In der Tagesklinik der Stiftung Tannenhof singen neuerdings psychisch kranke Menschen.

Depressive Menschen finden ihre Stimme
Foto: Stefan Fries

Zentrum. In der Tagesklinik der Stiftung Tannenhof gibt es psychisch Kranke, die über Jahre ihre Stimme versteckt haben. Menschen, denen vielleicht seit der Kindheit erzählt wird, dass sie ruhig zu sein haben. Doch neuerdings begleitet das Singen die Therapie an der Wesendonkstraße. „Am Anfang sind wir da schon auf Widerstand gestoßen. 95 Prozent der Teilnehmer öffnen sich aber und singen schließlich mit“, berichtet Dr. Christoph Glaser, Leiter des Klinikbereichs Psychiatrie. Der offene Gesang sei ein wunderbarer Weg, um die emotionale Ebene der Menschen anzusprechen. Jede Woche singen in der Einrichtung 15 bis 18 Menschen, die teilweise in ihrem ganzen Leben noch nie ihre Stimme ertönen ließen.

Möglich gemacht hat das die Jackstädt-Stiftung mit Unterstützung des Lionsclubs Wuppertal-Mitte, die der Tagesklinik mit der Projektleiterin Sibylle Hummel eine professionelle Sängerin und Musikpädagogin finanziert haben. Sie leitet die Gruppe mit den Patienten aus der Altersgruppe Ü60. „Diese Menschen haben oft Blockaden — das Singen lockert auf“, sagt Hummel.

Die Idee zu dem Projekt „Singen macht Spaß“, das inzwischen deutschlandweit an 27 Kliniken (auch unter anderem Namen) erfolgreich Menschen zur Musik bringt, hatte Susanne Staets — und stieß damit zunächst auf Widerstand. „Die Idee fällt ja etwas aus dem Rahmen. Das hat nichts mit Medikamenten und Therapie zu tun“, sagt die Ehrenamtlerin. Da habe sie zunächst einige Klinikleiter umwerben müssen. „Inzwischen ist es soweit, dass ich angerufen werde, weil die Kliniken mitmachen wollen.“

Seit dem vergangenen Jahr gibt es auf Initiative des Lionsclubs auch in Wuppertal eine freie Singgruppe, die für die Patienten viele positive Effekte hat. „Singen fördert die Kreativität“, sagt Leiter Glaser. Und: Selbst Menschen mit dementieller Krankheit, von denen es in der Gruppe einige gibt, können sich noch an die Lieder „von früher“ erinnern. „Das musische Gedächtnis bleibt noch sehr lange erhalten“, sagt Glaser. „Am liebsten singen die Patienten Lieder, die sie noch von früher kennen. Volkslieder, Heimatlieder, Seemannslieder und die ganze Schlagerparade rauf und runter“, berichtet Hummel.

Zwischen den Stücken wird miteinander geredet. Wenn die Patienten schon einmal ihre Stimme gefunden haben, sollen sie Geschichten aus ihrem Leben erzählen. „Da habe ich als Kölnerin schon viel über Wuppertal erfahren“, sagt Sibylle Hummel.

Damit die neue Begeisterung für die Musik nicht nach dem Aufenthalt in der Tagesklinik endet, war es Ideengeberin Staets wichtig, dass es ein Nachfolge-Angebot gibt. Dafür stellt die Musikschule einen Raum zur Verfügung, wo ehemalige Patienten mit anderen Hobby-Sängern zum Liederschmettern zusammenkommen können. Viele Sänger, so Staets, sind über ihr Projekt in den Bann der Musik gezogen worden.

In Hilden habe man sogar in der Reihen der Einrichtung ein echtes Talent entdeckt. „Der junge Mann singt jetzt in einem großen Düsseldorfer Chor.“ So öffnet „Singen macht Spaß“ Türen, die für manche Menschen ein Ausweg sein können.

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