Dauerstreit um folgenschweren Einsatz eines jungen Retters

Sozialrecht: Warum ein junger Wuppertaler seit viereinhalb Jahren die Gerichte beschäftigt.

Wuppertal. Zwischenmenschlich betrachtet hat Argyrios Chrysafidis alles richtig gemacht. Damals, vor viereinhalb Jahren. Es war auf einem Spielplatz im Ennepe-Ruhr-Städtchen Wetter. 14 Jahre jung war der Grieche aus Wuppertal seinerzeit. Doch der Jugendliche wurde für eine junge Mutter zum Retter. Deren kleine Tochter (5) war irgendwie auf das direkt angrenzende Gelände des örtlichen Energieversorgers geraten.

Ein Alptraum für Mütter: Da steht die fünf Jahre alte Tochter jenseits eines hohen Zaunes, schafft den Weg zurück ohne fremde Hilfe nicht. Schreien, Weinen. Die Mutter wandt sich damals an den netten Argyrios, der auch auf dem Spielplatz war. Der hat selbst eine jüngere Schwester. Natürlich erklärte er sich bereit, dass kleine Mädchen zu holen.

So kletterte er über den Zaun und brachte das Kind der Mutter zurück. Doch auf seinem Rückweg hatte der Jugendliche großes Pech. Mit dem Mittelfinger seiner rechten Hand blieb er am Metallzaun hängen. Der Knochen des Fingers wurde regelrecht abgeschält.

Im Krankenhaus die bittere Erkenntnis: Amputation. "Ich habe geweint", erinnert sich Argyrios Chrysafidis an die Zeit in der Klinik. Von dem Schock hat er sich erholt. Die Hänseleien in der Schule steckte er weg. Demnächst hat er seine Lehre als Einzelhandelskaufmann geschafft. Vielleicht will er dann nach Griechenland gehen. Er hat Zukunftpläne.

Doch seine Vergangenheit ist noch nicht vollkommen aufgearbeitet. Der viereinhalb Jahre alter Einsatz für jenes kleine Mädchen beschäftigt seit Jahren die Gerichte. Der junge Mann hat die Unfallkasse Nordrhein-Westfalen verklagt. Es geht darum, ob die Rettungsaktion in Wetter als Unfall zu werten ist.

Mittlerweile hat das Landessozialgericht (LSG) entschieden, dass jemand, der auf einem einem Spielplatz in Absprache mit der Mutter einem Kind hilft und sich dabei verletzt, unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestellt werden kann. Der Fall ist juristisch hochkompliziert.

Und wegen seiner grundsätzlichen Bedeutung hat das LSG die Revision zugelassen. Die Unfallkasse NRW (siehe Kasten) will angesichts des schwebenden Verfahrens zwar keinen Kommentar abgeben, wird aber den Rechtsweg voll ausschöpfen. Unfallkassen-Sprecher Thomas Picht zur WZ: "Unsere Juristen bereiten gerade die schriftliche Begründung vor." Demnächst wird das Bundessozialgericht entscheiden.

Argyrios Chrysafidis nimmt es gelassen. Seine Anwältin, Kerstin Fösig, stellt klar: "Um Schmerzensgeld geht es nicht." Um was dann? Die Antwort liegt in der Zukunft. Wer weiß, was in ein paar Jahren ist? "Vielleicht gibt es Komplikationen ", sagt Anwältin Fösig, "oder aber neue medizinische Methoden, einen amputierten Finger zu ersetzen." Wird die Rettungsaktion als versicherter Unfall bestätigt, hätte ihr Mandant die Chance, etwaige Kosten von der Unfallkasse NRW erstattet zu bekommen.

Argyrios Chrysafidis nickt dazu. Vor viereinhalb Jahren kam die Mutter jener 5-Jährigen zu ihm ins Krankenhaus. Sie hat sich damals bedankt und sich auch dafür entschuldigt, den damals 14-Jährigen um Hilfe gebeten zu haben. Argyrios Chrysafidis ist ihr nie böse gewesen. Er sagt: "Ich würde wieder helfen."

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