„Das Nomadendasein gibt uns mehr, als wir vermissen“

Mycha Schekalla reist seit mehr als einem halben Jahr mit seiner Familie durch Europa. Nach Italien ist jetzt Griechenland dran.

„Das Nomadendasein gibt uns mehr, als wir vermissen“
Foto: Schekalla

Mit seinem Haus direkt am Strand stehen zu können, ist einfach geil. Vor allem, wenn man damit den ganzen Tag gefahren ist; vorbei am italienischen Straßenstrich, durch enge Dörfchen und in versperrte Gassen, in denen man sein ganzes Geschick testen kann, indem man das Wohnmobil wendet. Ständig denke ich, wir wären irgendwo falsch abgebogen und verpassen das Beste. Aber jedes Mal gibt es einen Punkt, an dem ich sicher bin, dass wir auf einem guten Weg zu einem lauschigen Plätzchen sind.

Butze

auf Rädern

In der Nebensaison ist das einfach, da alles wie ausgestorben ist und es keinen interessiert, wo man sein Haus hinpflanzt. Von Einheimischen erntet man höchstens ungläubige Blicke und ich stelle mir gerne vor, wie alle Passanten über uns die Köpfe schütteln und sich fragen, was um diese Zeit im Jahr ein Wohnmobil hier zu suchen hat.

Steht man erst einmal direkt am Meer und hört die Wellen rauschen, beginnt die magische Umwandlung hin zu einem ruhigen Sinneszustand — außer man hat das Pech und steht an Stränden mit bröckeligem Gestein, der Wind pfeift einem um die Ohren und der Himmel ergießt sich hart auf das Butzendach.

Auch wenn ich dieser wunderbar reinigenden Umgebung viel abgewinnen kann, werden die Nächte in so einem Umfeld schnell zur Zerreißprobe. Nichts ist lauter als meterhohe Wellen, die mit Schmackes gegen Felsen klatschen, dazu das unverkennbare Prasseln von Regen auf einen großen, geschlossenen Klangkörper aus Aluminium. Nur die Kinder schlafen bei so einem Krach ruhig und können von nichts aus ihren Träumen gerissen werden. Es sei denn, das Licht der aufgehenden Sonne scheint durch den millimetergroßen Schlitz am Küchenfenster. Josh hat ab der zweiten Woche den Trick perfektioniert, mich aus dem Bett zu bekommen, indem er vorgibt, ganz dringend zur Toilette zu müssen. Ganz selten wird mir langweilig.

Dieses Nomadendasein hat seinen Charme und gibt uns mehr, als wir vermissen könnten. Trotzdem haben wir mittlerweile auch unseren geregelten Tagesablauf, von dem wir ja gern Abstand genommen haben, als wir die Reise angetreten sind. Seit wir in Venedig waren, besteht dieser aus praktisch denselben Handgriffen und wird wieder zu Routine. Dass wir jeden Tag weiterfahren, um einen Strand zu erreichen, trägt dazu bei.

Manchmal wünschte ich, die Reise würde nie enden; wenn ich zum Beispiel meinen Bart im Seitenspiegel des Fiat mit der Kinder-Bastelschere schneiden muss. Manchmal rette ich mich auch in den Gedanken, dass wir irgendwann wieder in Wuppertal sesshaft werden und ich Monster Hunter auf der Konsole daddeln kann (obwohl dann schon alle Freunde mit dem Spiel durch sind). Selbst die Kinder merken, dass ein Leben im Wohnmobil irgendwann nichts außergewöhnlich Besonderes mehr ist, sondern eine Form, seine Tage zu Ende zu bringen.

Die Reise durch Italien haben wir so gut wie beendet. Ich fand es etwas schwieriger, mit der Butze durch das Land zu fahren. Nicht so sehr wegen der engen Straßen, den Schlaglöchern oder der vermüllten Areale um die Großstädte, sondern wegen der fehlenden Stellplätze. Selten haben wir einen Wasserhahn, eine Ablassstation oder einen Mülleimer gefunden, der nicht zum Bersten voll war.

In Bayern gab es noch den Luxus von Stellplätzen mit kostenlosem Strom. Was angesichts der Tatsache, dass uns nach einer Woche der Anlasser flöten gegangen ist, einen leichten Wiedereintritt ins Camperleben ermöglicht hat. Nach Venedig, Rom und Pompeji (meine uneingeschränkte Reiseempfehlung) sind wir am Zipfel des Stiefels angelangt. Die Versuchung ist groß, eine Fähre zu nehmen und direkt nach Griechenland zu schippern, statt wie geplant nach Sizilien zu fahren. Wir werden die Kinder entscheiden lassen. Und vielleicht dann doch genau das Gegenteil machen. Mal sehen.

Addio e cordiali saluti,

Euer Mycha

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