Das Gefühl, keine Zeit zu haben

Mycha Schekalla reist seit mehr als einem halben Jahr mit seiner Familie durch Europa.

Das Gefühl, keine Zeit zu haben
Foto: Mycha Schekalla

Ich bemerke gar nicht, wie die Fähre ablegt. Erst als die Kinder schreien, dass sie an Deck wollen, sieht man den Hafen von Brindisi schon so gut wie gar nicht mehr. Zuvor habe ich noch eine Stunde in einer trügerisch kurzen Schlange am Check-In Schalter stehen müssen um die Butze anzumelden. Danach durften wir dann in das große, geöffnete Maul des Schiffs fahren; hinein in den Bauch der Bestie, um zu parken.

Fälschlicherweise habe ich angenommen, man dürfte während der neunstündigen Fahrt noch mal in den Camper. Aber leider mussten sich unsere Essensvorräte auf das beschränken, was wir spärlich mit uns trugen und später teuer an Bord nachkaufen mussten.

Im leicht schäbigen Aufenthaltsraum sitzen nur Truckfahrer aus Griechenland, Rumänien oder Albanien. Wie auf Kommando hauen sich nahezu alle aufs Ohr, als wir im Begriff sind abzulegen. Jede Minute wird effektiv genutzt. Nur wir langweilen uns relativ schnell und versuchen, die Kinder mit Firlefanz abzulenken. Das klappt nicht ganz so gut, wie ich es dachte, als wir noch festen Boden unter den Füßen hatten.

Die letzten zwei Stunden der Fahrt werden deswegen zur Zerreißprobe. Kurz bevor wir in den Hafen von Igoumenitsa um halb 11 einlaufen, flimmert CSI Memphis auf italienisch im Bordfernsehen. Eines der Kinder schläft zum Glück, das andere malt wie in Trance und bemerkt zum Glück nicht mehr den Mord im TV.

An sich war die Bootsfahrt ziemlich malerisch. Vor allem als wir an Albanien vorbei schippern; atemberaubende Berge, herrliche Serpentinen und enge Straßen versprechen eine interessante „Heimfahrt“. Auf meinem Handy künden derweil zwei SMS an, dass sich ebendieses mit einem Satelliten verbunden hat und die nächste Rechnung rund 104 Euro teurer ausfallen wird.

Ich schalte auf Flugzeugmodus und muss mich zusammenreißen, das Ganze als Karmagebühr zu verbuchen; dafür, dass ich die Butze im engen Bauch der Fähre nicht zu Schrott gefahren habe. Die Truckfahrer nehmen gern mal eine Ecke vom Stahlriesen mit, wenn sie um die schmalen Kurven im Innern abbiegen müssen.

Wir kommen um 23 Uhr unbeschadet wieder raus und parken das Womo vor einem nahen Campingplatz (nachdem wir uns im Dunkeln nochmal kurz verfahren haben).

Griechenland empfängt uns am nächsten Tag mit Sonnenschein und angenehm hohen Temperaturen. Hierhin zu kommen, hatten wir nicht geplant. Es war eine Bauchentscheidung und wird damit bezahlt, dass wir nicht allzu lange Zeit aufwenden können, um durch die Gegend zu gurken. Da unser mittelfristiger Plan - es im Sommer in den Norden Europas zu schaffen - noch vor uns liegt, müssen wir uns fast schon beeilen, die Strecke bis Ende Mai wieder zurück nach Deutschland zu schaffen.

Auch wenn ich denke, die Zeit vergeht nicht ganz so schnell, sitzt sie uns gnadenlos im Nacken und treibt uns unweigerlich in die Arme eines geregelten Alltags zurück. Ich kann ihn schon am Horizont ausmachen und jedes mal, wenn ich an ihn denken muss, wird mir ganz mulmig in der Magengegend. Das Gefühl, keine Zeit zu haben, hatte ich auch schon vor der Fahrt. Zwar fühlt es sich jetzt genauso an, doch erleben wir weitaus mehr und ich bilde mir ein, ich könnte mich an so gut wie jede Minute der Reise erinnern. Es vertreibt zumindest partiell den nervösen Gedanken, alles irgendwann hinter uns lassen zu müssen.

Wir werden Griechenland bald verlassen haben und uns auf den Weg durch Albanien, Montenegro und Kroatien machen. Wir werden die Zeit stoppen müssen und zwischendurch entscheiden, ob wir uns noch einen kurzen Abstecher durch Ungarn erlauben können.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort