Darum helfen Wuppertal nur Bildung und Wachstum weiter

Drei von vier Hartz-IV-Empfängern in Wuppertal haben keinen Beruf erlernt. Fast jeder Zweite verließ die Schule ohne einen Abschluss.

Wuppertal. Vor Wochenfrist hat Oberbürgermeister Andreas Mucke (SPD) angekündigt, in Wuppertal ein Bündnis gegen Armut schmieden zu wollen. Das ist im Grunde lobenswert und verdient jede Unterstützung. Die Frage ist nur, was dieses Bündnis leisten soll. Geht es darum, mehr Transferleistungen für noch mehr Empfänger zu ermöglichen? Oder geht es darum, Wuppertaler aus der Armutsfalle zu befreien? Welchen Weg das Bündnis gegen Armut nimmt, wird sich im 14. September ab 17 Uhr zeigen, wenn die große Auftaktveranstaltung in der Mensa der Gesamtschule Barmen beginnt.

Für den Denkprozess aller, die sich beteiligen wollen, können einige Zahlen hilfreich sein, die das Jobcenter jedem zur Verfügung stellt, der danach fragt.

Demnach waren im März dieses Jahres insgesamt 50 122 Menschen von Sozialhilfe abhängig. Unter Männern und Frauen ist dieses Schicksal annähernd gleich verteilt. Schwer wiegt dabei, dass allein fast 15 000 Empfänger von Hartz IV das 15. Lebensjahr noch nicht erreicht haben. Das ist in dieser Altersgruppe fast jedes 3. Kind in Wuppertal.

Die größte Gruppe machten im März die 25- bis 54-Jährigen aus. Sie stehen mit fast 23 000 Personen in den Akten des Jobcenters.

Nicht alle empfangen ausschließlich Hilfen, wie sie im Sozialgesetzbuch II vorgesehen sind. Mehr als 7000 der gut 50 000 Leistungsberechtigten gehen einer geregelten Arbeit nach, verdienen dadurch aber nicht genügend, um sich und ihre Familie ernähren zu können.

Die Ursachen des Übels verbergen sich überwiegend in der Schulgeschichte der Bedürftigen. Unter den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten war im März dieses Jahres fast jeder Zweite ohne Abschluss auf der Suche nach Arbeit. Angesichts der zunehmenden Spezialisierung und des damit verbundenen Wegfalls von Hilfsarbeiten ist die Chance dieser Gruppe am Arbeitsmarkt annähernd gleich null.

Noch gravierender stellt sich das Problem dar, wenn erhoben wird, wie viele der arbeitsuchenden einen Berufsabschluss haben. Damit kann nämlich nur jeder Vierte aufwarten. Für die anderen 75 Prozent ist es ungleich schwieriger, an eine ordentlich bezahlte Beschäftigung zu kommen. Für ein Bündnis gegen Armut können diese Zahlenwerke des Jobcenters von Bedeutung sein.

Außerdem lohnt sich ein Blick auf die Art von Armut, die auch in Teilen Wuppertals grassiert. Wirklich arm im Sinne von Existenznot sind Hartz-IV-Empfänger in Deutschland nicht. Sie haben in aller Regel Wohnungen, sie haben das Recht auf freie Wahl des Arztes, sie müssen weder Rundfunkgebühren noch Fahrkarten für den Öffentlichen Personennahverkehr bezahlen. Und wer kulturinteressiert ist, kommt in Wuppertal auch kostenlos in Aufführungen der städtischen Bühnen.

Die eigentliche, wirklich schlimmer Armut diese Menschen in einem reichen Industrieland hat Wuppertals großer Sohn Friedrich Engels einmal beschrieben, als sinngemäß sagte, Armut sei nicht allein materieller Natur, mindestens ebenso schlimm sei es, keine Arbeit zu haben, mithin kein wertiges Mitglied der Gesellschaft zu sein und kein selbstbestimmtes Leben führen zu können.

Aufgabe eines Bündnisses gegen Armut müsste es demnach also sein, zwei Grundvoraussetzungen dafür zu schaffen, dass von den gut 50 000 Wuppertaler möglichst viele jener, die es wirklich wollen, aus dem scheinbar erträglich alimentierten Abseits kommen. Erstens: Kein Schüler in Wuppertal darf seine Schule ohne einen brauchbaren Abschluss verlassen. Zweitens: Wuppertal muss eine Wirtschaftspolitik betreiben, die zur Ansiedlung neuer, zukunftsträchtiger Arbeitsplätze führt. Noch ein Möbelmarkt hier oder noch eine Spedition dort beispielsweise wären das krasse Gegenteil davon.

Alles spricht dafür, dass die Wirtschaftsexperten recht haben, die der Arbeitswelt eine digitale Revolution voraussagen. Umso wichtiger wird es deshalb aller Voraussicht nach sein, die jungen Generationen auf diese Herausforderung vorzubereiten. Schulabbrecher und dauerhafte Hartz-IV-Karrieren kann Wuppertal sich auch vor diesem Hintergrund nicht leisten.

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