Cern: Die Bergische Uni und das letzte große Rätsel der Menschheit

In Genf steht die größte Experimentier- Maschine der Welt. Wuppertal ist ganz vorne mit dabei.

Genf. Jenny Boek hat ihr Abitur am Gymnasium Kothen gemacht, anschließend Physik an der Bergischen Universität studiert, um jetzt bei Professor Peter Mättig über nichts geringeres als das größte Wissenschafts-Abenteuer der Menschheit zu promovieren, dem sogenannten Atlas-Experiment. Ein Jahr lang war sie deshalb am Cern, dem Europäischen Zentrum für Teilchenphysik, in Genf. Wuppertaler sind dort keine Seltenheit - im Gegenteil. Die Physiker aus dem Bergischen bilden seit Jahrzehnten eine feste Größe auf der globalen Jagd nach den kleinsten Teilchen des Universums.

"Forschung auf Weltniveau", nennt es Uni-Rektor Lambert T. Koch ohne Übertreibung. Tatsächlich ist die Wuppertaler Gruppe wesentlich an der Suche nach Antworten auf existenzielle Fragen der Menschheit beteiligt.

Und Jenny Boek gehört mit zum Team. Beim Besuch von Uni-Rektor Koch erklärt sie in der an das Nasa-Zentrum erinnernden Steuerungszentrale die komplizierte Datenvernetzung beim Betrieb des weltgrößten Teilchenbeschleunigers LHC (Large Hadron Collider), dazu gebaut, hundert Meter unter französischer und schweizer Erde Elementarteilchen auf 27 Kilometern Länge aufeinander zu schießen und dadurch die letzten Rätsel des Urknalls zu knacken.

2300 Mitarbeiter beschäftigt die exterritoriale Zone Cern, dazu kommen knapp 10.000 Wissenschaftler, die in mehr als 20 Ländern mit ihren Knowhow und ihren Rechnern buchstäblich am größten Experiment der Welt hängen. Für sie alle war der 10. September 2008 mindestens so weltbewegend wie die Mondlandung, wenn nicht noch bedeutender. "Es war der aufregendste Tag meines Lebens", sagt Jenny Boek. Sie war live dabei, als der Teilchenbeschleuniger angefahren wurde und die Welt so dicht wie noch nie zuvor an den Ursprung allen Seins brachte. Die Wuppertalerin muss nach Superlativen suchen, die den Schicksalstag am Cern angemessen beschreiben. "Die Atmosphäre war unbeschreiblich", meint sie schließlich, offiziell ist von einem "historischen Tag" die Rede. Die Euphorie ist so groß, dass mehr als ein halbes Jahr später schon mal vergessen wird, dass der Beschleuniger bereits neun Tage nach dem furiosen Start aufgrund einer Panne im Kühlsystem wieder heruntergefahren werden muste. "Bei einem so komplexen System kann es vorkommen, dass nicht alle Rädchen sofort reibungslos ineinandergreifen", erklärt Felicitas Pauss, Cern-Generaldirektorin und Professorin für Experimentelle Teilchenphysik in Zürich.

Im Herbst ist der Neustart geplant - repariert und verbessert. Für Besucher ist die unterirdische Welt des Cern dann tabu. Dabei vermittelt der Anblick des fünf Stockwerke hohen und 7700 Tonnen schweren LHC wenigstens eine Ahnung vom Aufwand, der betrieben werden muss, um zu erfahren, was unmittelbar nach dem Urknall geschah. "In der ersten Sekunde entschied sich das Schicksal des Universums", erklärt Mättig.

Um dies 14 Milliarden Jahre später zu rekonstruieren, schicken die Forscher jedes Proton 11000-mal pro Sekunde durch den Ring. Knapp 10000 verschiedene Magnet-Elemente halten die fast mit Lichtgeschwindigkeit durch den Untergrund rasenden Teilchen auf Kurs. Dort, wo die Teilchen zusammenstoßen, funktioniert das Kernstück des LHC wie ein gigantisches Mikroskop, um die dabei entstehenden Teilchen "einzufangen". Das Resultat verspricht grundlegenden Erkenntnisgewinn und elektrisiert Physiker auf der ganzen Welt. Kein Wunder also, dass Jenny Boek nur einen Wunsch für die Zeit nach ihrer Promotion hat: "Zurück zum Atlas-Experiment."

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