Bewegende Momente für die Tochter einer Zwangsarbeiterin

Lujsja Shatylo kam zur Einweihung der neuen Gedenkstätte für die Babys der ausgebeuteten Osteuropäerinnen in Wichlinghausen.

Bewegende Momente für die Tochter einer Zwangsarbeiterin
Foto: G. Bartsch

Wuppertal. „Wieder in Wuppertal“ lautet der Titel einer von Jochen Vogler erstellten eindrucksvollen Fotoausstellung, die bis zum 19. Oktober in der Bibliothek der Universität zu sehen ist. Ihr Thema sind die Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter, die von großen renommierten Wuppertaler Firmen ausgebeutet wurden oder auf Bauernhöfen der Willkür ihrer Arbeitgeber ausgesetzt waren.

Eine der Zwangsarbeiterinnen war die kürzlich verstorbene Tatjana Afanasjewna Bilyh, die 1944 einen kleinen Sohn namens Wiktor Titow zur Welt brachte. Er wurde jedoch nur 14 Monate alt und ist zusammen mit 25 Säuglingen und Kleinkindern auf dem Friedhof Friedhofstraße in Wichlinghausen begraben.

Stelen mit ihren Namen erinnern jetzt an die kleinen Kinder, die die selbst ernannten „Herrenmenschen“ unter der nationalsozialistischen Herrschaft als „rassisch minderwertig“ bewerteten und elendiglich zugrunde gehen ließen.

Tatjana Bilyhs Tochter Lujsja Shatylo aus der Ukraine war am Wochenende auf Einladung des Vereins „Spurensuche“ zu Gast in Wuppertal und sollte am Freitagnachmittag von Oberbürgermeister Andreas Mucke empfangen werden. Doch witterungsbedingt verspätete sich das Flugzeug aus Kiew so sehr, dass die 72 Jahre alte Dame am Freitag nur noch zur Ausstellung in die Uni kommen konnte.

Es war eine bewegende Szene, als sie vor dem Foto ihrer Mutter stand und in Tränen ausbrach, ehe sie auch die anderen Fotos der Leidensgenossen ihrer Mutter betrachten konnte.

In einem ausliegenden Flyer ist auszugsweise nachzulesen, wie die Männer und Frauen bei Besuchen in Wuppertal ihre Erlebnisse hier geschildert haben. Dabei erschüttert vor allem das Schicksal des kleinen Wiktor, den seine Mutter Tatjana kurz vor dessen Tod von Würmern befallen und verzweifelt schreiend zu Gesicht bekam. Tatjana Bilyh, die Wuppertal 2004 wiedersah, wurde 1945 erlaubt, ihr Kind gegenüber einem Treibhaus zu begraben.

Die Zwangsarbeiterinnen aus dem europäischen Osten erhielten keinen Mutterschutz, mussten hochschwanger bis unmittelbar vor der Niederkunft und kurz danach wieder ihre Frondienste leisten, bei schlechter Ernährung und ohne Schutz bei gefährlicher Arbeit wie dem Entschärfen von Bomben, mit ätzenden Chemikalien, Desinfektionsmitteln oder der Herstellung von Granaten.

Am Samstag kam für Lujsja Shatylo der nächste Moment großer Emotionen: Beim Besuch des Friedhofs Friedhofstraße stand sie vor der Stele, die den Namen ihres Bruders Wiktor trug, dem nur ein kurzes Leben beschieden war, dem mit diesem Mahnmal aber eine letzte Ehre erwiesen wurde.

Eine bewegende Feierstunde, zu der trotz heftiger Regenböen rund 50 Menschen gekommen waren, um Anteil am Schicksal der toten Kinder zu nehmen. Das Wiegenlied von Johannes Brahms, intoniert auf der Geige von Uli Klan, und das Lied „Schlafe, mein Prinzchen“ gaben der anrührenden Zeremonie ebenso einen würdigen Rahmen wie die Worte von Bürgermeisterin Ursula Schulz und Ingo Schellenberg von der Friedhofsverwaltung sowie das Verlesen der Namen der verstorbenen Kinder durch zwei Schülerinnen des Carl-Duisberg-Gymnasiums.

Nach Angaben von Bettina Hofmann vom Gastgeber „Spurensuche“ war Lujsja Shatylo tief beeindruckt von der Anteilnahme der Menschen von Wuppertal. Der Stadt, in der ihre Mutter vor mehr als sieben Jahrzehnten so viel Schreckliches erlebt hatte.

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